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TikTok-Trend "Tradwives" Warum werden in den sozialen Medien wieder Heimchen am Herd gefeiert?

Stereotype hausfrau der 1950er Jahre
© Tijana / Adobe Stock
Mit einer zuckersüßen Stimme, perfekt frisierten Haaren à la Marilyn Monroe, einem makellosen Make-up und einem hübschen Rüschenkleid erklärt TikTokerin Estee Williams, wie man zu einer "Tradwife" wird. Die "Tradwives" zeigen sich vermehrt auf Social-Media, sie kochen, backen, putzen und sorgen sich um Haus und Familie. Wir haben keine Zeitreise gemacht – warum die jungen Frauen diesen Lifestyle lieben und woher er kommt, erklären wir hier.

In einer Welt, die sich stets für Fortschritt und Gleichberechtigung einsetzt, erscheint es paradox, dass ein Trend wie "Tradwives" auf Plattformen wie TikTok, Instagram und YouTube zunehmend Aufmerksamkeit erhält. "Tradwives", eine Zusammensetzung aus "Tradition" und "wife" (engl.: Ehefrau), beschreibt Frauen, die sich bewusst für ein konservatives Rollenbild entscheiden. Mit Kleidern, High Heels, Selbstgebackenem und immer perfekt gestylt, inszenieren sie sich in einer Welt, die stark an die Hausfrauenwerbungen der 1950er-Jahre erinnert.

"Tradwives" leben und lieben die Rollenbildern der 1950er-Jahre

Die "Tradwives"-Bewegung ist nicht neu, schon 2020 wird sie zum Beispiel in Großbritannien medial besprochen. Jetzt findet der Trend auch in Deutschland mehr Beachtung. Dennoch stellt sich die Frage, was dahintersteckt, wenn junge Frauen plötzlich zurück in die 1950er-Jahre wollen. 

Wie eine Studie von Ipsos zeigt, besteht gerade unter jüngeren Menschen ein Trend zur Rückbesinnung auf traditionelle Rollenverteilungen. "Ein Mann, der zu Hause bleibt und sich um die Kinder kümmert, ist kein richtiger Mann" – dem stimmen in Deutschland 21 Prozent der befragten Personen zu. Der Blick auf die Generationen zeigt jedoch deutliche Brüche: Während nur acht Prozent der Babyboomer dieser Meinung sind, sehen mehr als ein Drittel der Millennials, nämlich 35 Prozent und ein Viertel der Gen Z (26 Prozent) die Männlichkeit durch Care-Arbeit bedroht.

Während 60 Prozent der Männer meinen, es sei genug für die Gleichstellung der Geschlechter getan, sind es bei den Frauen nur 38 Prozent. Ganze 45 Prozent der deutschen Männer sind sogar davon überzeugt, dass die Förderung der Gleichstellung inzwischen so weit gegangen ist, dass Männer diskriminiert werden, das sehen 29 Prozent der Frauen auch so. Der weltweite Trend passt zu den deutschen Ergebnissen. 52 Prozent der Menschen im Durchschnitt der befragten Länder findet laut Ipsos-Studie, dass von Männern in Sachen Gleichberechtigung (zu) viel verlangt werde. Und fast jeder Zweite (46 Prozent) meint, eine Diskriminierung von Männern als Folge der zunehmenden Gleichstellung zu beobachten. Beide Werte sind seit 2019 deutlich gestiegen.

Eine willkommene Lücke für Konservative – und einen TikTok-Trend?

In dieser erschreckenden Wahrheit tun sich Lücken für Trends auf, die genau in diese Kerbe schlagen und zurück zu alten Rollenbildern wollen. Influencerinnen auf den Social-Media-Plattformen erhalten viel Zuspruch für ihren Lifestyle als "Stay at Home Girlfriends" oder "Tradwives". Ersteres kann als eine Vorstufe der "Tradwives" gesehen werden. Bekannte TikTokerinnen wie Kendall Kay oder Carolina Tolstik haben schon vor einigen Jahren begonnen, Beiträge dazu zu veröffentlichen. Sie sehen sich selbst als Feministinnen und betonen, dass jede das tun sollte, was sie glücklich macht. Sie heben hervor, dass sie keine Lust hätten, ein "Girlboss" zu sein und dass das feministische Rollenbild der arbeitenden Frau (die zu Hause auch noch den Haushalt schmeißt) ihnen zu anstrengend sei. Sie lieben es, zu Hause zu bleiben, dem Mann seine Mahlzeiten zuzubereiten, ihre Sport- und Selfcare-Routinen zu haben und Journal zu schreiben.

Die Gefahr hinter dem vermeintlichen Trend

Doch nicht alle "Tradwives" präsentieren sich so modern und vermeintlich selbstbestimmt wie Tolstik und Kay. Estee Williams, die mit ihrem Look und ihrer Attitüde wirklich an längst vergangene Zeiten erinnert, erklärt auf ihrem TikTok-Kanal, was eine "Tradwife" ist: 

"Eine Tradwife ist eine Frau, die sich entscheidet, ein traditionelleres Leben mit ultra-traditionellen Rollenbildern zu führen. Der Mann geht aus dem Haus, arbeitet und sorgt für die Familie, die Frau bleibt zu Hause, ist die Hausfrau und kümmert sich um den Haushalt und die Kinder, falls es welche gibt. "Tradwives" glauben auch, dass sie sich ihren Ehemännern unterordnen und ihren Ehemännern und der Familie dienen sollten und das löst bei den Menschen Irritationen aus, weil die Worte "unterwerfen" und "dienen" die Frauen glauben lassen, dass wir weniger wert sind als ein Mann, aber das ist nicht so."

Viele "Tradwives", insbesondere aus den USA, leben dieses konservative Rollenbild 24/7 und verknüpfen es mit hochreligiösen, teilweise rechtsgerichteten Ideologien. Oft wird die Schnittmenge zwischen der "Tradwife"-Bewegung und der "Alt-Right"-Bewegung in den USA, die für rassistische Ideologien wie zum Beispiel die der "White Supremacy" steht, deutlich. Hier sollen sich weiße Frauen ihren Männern unterordnen und für die Geburt vieler weißer Kinder sorgen.

Was Kritiker:innen jetzt befürchten

Diese Entwicklung birgt nicht nur für Frauen, sondern auch für die LGBTIQ+-Gemeinschaft Risiken. Ein Zurück zum traditionellen Rollenbild bedeutet gleichzeitig eine Rückkehr zu einem binären Verständnis von Geschlecht und sexueller Identität. So betont die Kommunikationswissenschaftlerin Julia Stüve gegenüber dem Deutschlandfunk, dass gerade die Weiße Rechte dieses Rollenbild nutzt, um junge Frauen für ihre frauenfeindlichen Ideologien zu gewinnen. Dies geschieht nicht nur in den USA, auch die AfD-Sachsen hat im letzten Jahr auf Instagram ein Meme gepostet, was hieran anknüpft. Das Bild zeigt die traditionelle Ehe- und Hausfrau dem Feindbild der verkommenen modernen Feministin gegenüberstellt. Dabei wird klar beschrieben, welche Eigenschaften eine Vorzeige-Frau haben sollte.

Bye-bye zur finanziellen Unabhängigkeit

Ein weiterer Punkt, den die Hausfrauen auf Social Media nicht beleuchten, ist ihre verlorene finanzielle Unabhängigkeit. Die hübsch hergerichteten Frauen genießen die Erledigung der ihnen natürlich bestimmten Aufgaben, aber vergessen augenscheinlich, dass sie sich damit der absoluten Abhängigkeit hingeben. Natascha Wegelin, die Gründerin und Geschäftsführerin von "Madame Moneypenny", betont im feministischen YouTube-Format "Brust raus" die finanziellen Folgen einer solchen Rückkehr zu alten Rollenbildern: "Wer das Geld hat, hat die Macht. Wenn in einer Beziehung nur einer das Geld heranholt, entsteht ein unschönes Machtgefüge, was natürlich auch ausgenutzt werden kann." 

Die Unternehmerin erklärt, dass sich so nämlich der verdienende Part jederzeit trennen kann, während der andere Part sich womöglich eine Trennung finanziell gar nicht leisten könne. Eine "Tradwife" würde entweder in einer unglücklichen Beziehung bleiben oder hätte nach einer Trennung vielleicht gar nichts – keine Karriere zum Anknüpfen, kein Geld für die weiterlaufenden Ausgaben, keine Rücklagen als Absicherung – stattdessen vielleicht sogar Kinder, die sie ebenfalls versorgen muss. Wegelin bezeichnet dies als einen klaren Pfad in die Armut.

Das Problem ist komplex und geht über einfache Rollenvorstellungen hinaus. Es zeigt die anhaltenden verkrusteten Strukturen und die Schwierigkeiten, echte Gleichberechtigung in einer Gesellschaft zu erreichen, die immer noch von traditionellen Rollenbildern geprägt ist. Der Trend zu "Tradwives" mag für einige eine Form der Selbstbestimmung sein, birgt aber die Gefahr, patriarchale Strukturen und Machtgefälle zu verstärken. Darum ist es wichtig, Medienkompetenz zu fördern und kritisch zu hinterfragen, was hinter solchen Inszenierungen steckt.

Verwendete Quellen: tagesschau.de, echte-vielfalt.de, deutschlandfunk.de, https://www.youtube.com/@BRUSTRAUS, ipsos.com: Ipsos Global Advisor-Studie "International Women‘s day 2024. Global Attitudes towards women’s leadership"

spa Brigitte

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