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Verein “Sanktionsfrei” Hier hilft man Menschen, die Hartz IV beziehen

Macherinnen: Jobanzeigen in der Zeitung
© Tetra Images / Getty Images
Helena Steinhaus setzt sich mit ihrem Verein “Sanktionsfrei” für Menschen ein, die Hartz IV beziehen. Was sie brauchen, weiß sie aus eigener Erfahrung.

"Ein Abfuck": Wenn Helena Steinhaus über das Leben mit Hartz IV spricht, findet sie oft drastische Worte. "Unmenschlich" nennt die 34-Jährige die Folgen, die Empfänger:innen bei Fehlverhalten drohen, der Regelsatz von 449 Euro pro Monat sei ohnehin mickrig.

Um bis zu 30 Prozent duften die Jobcenter ihn bis vor Kurzem kürzen, wenn Beziehende nicht zu vereinbarten Terminen erscheinen, Jobs ablehnen oder Schulungen unterbrechen. Aktuell sind die Sanktionen zwar für ein Jahr ausgesetzt – ein Vorgriff auf die geplante Bürgergeld-Reform. Doch das reiche nicht, findet Steinhaus. "Terminversäumnisse dürfen weiter mit Zehn-Prozent-Kürzungen geahndet werden, wenn auch erst beim zweiten Mal." Und nach dem Moratorium werde es wieder Sanktionen bis zu 30 Prozent geben. "Das geht gar nicht."

Helena Steinhaus musste schon mehrfach Hartz IV beziehen

Die Mutter eineinhalbjähriger Zwillinge hat selbst schon von Hartz IV gelebt. Das erste Mal als Teenager im Ruhrgebiet, als ihre alleinerziehende Mutter nach einem Burn-out nicht mehr als Erzieherin arbeiten konnte. Zwei weitere Male, als sie nach dem Studium der Kulturwissenschaften als Saisonkraft kellnerte und im Winter keine Arbeit hatte. Sie weiß, wie es ist, plötzlich in eine kleinere Wohnung ziehen zu müssen oder Payback-Punkte zu sammeln, um mal Biosaft kaufen zu können.

Um sanktionierten Hartz-IV-Berechtigten schnell und unbürokratisch zu helfen, hat sie 2015 mit Mitstreiter:innen in Berlin den Verein "Sanktionsfrei" gegründet. Er gleicht mit Spenden aus, was der Staat einbehält. "So machen wir das stärkste Druckmittel der Jobcenter unwirksam", sagt sie. "Wer auf staatliche Hilfe angewiesen ist, soll garantiert und angstfrei abgesichert sein."

Ihr Verein federt Sanktionen des Jobcenters ab

Zuletzt wurden etwa 1,5 Prozent der rund 3,5 Millionen arbeitsfähigen Empfänger:innen von Hartz IV sanktioniert. "Das klingt nach wenig", sagt Steinhaus. "Doch coronabedingt lief der Betrieb in den Jobcentern lange nur eingeschränkt. Es gab also weniger Termine, die verpasst werden konnten. Und rund 70 Prozent der Sanktionen passieren nun mal wegen Terminversäumnissen." Die ständige Drohkulisse träfe aber alle – und stresse die Betroffenen sehr. "Das System ist darauf ausgelegt, schwarze Schafe zu fangen, und stellt damit alle unter Generalverdacht. Die meisten Betroffenen brauchen Unterstützung und richtige Förderung – keine Extra-Steine im Weg."

Vertrauen statt Misstrauen gegenüber Erwerbslosen

Über die Website ihres Vereins, dessen Geschäfte sie heute allein in Festanstellung führt, kann man Widerspruch gegen Sanktionsbescheide einlegen und wird dabei kostenlos von einem Anwaltsteam unterstützt. Rechtfertigen muss sich niemand. "Jeder Fall ist anders gelagert. Es ist nicht an mir zu urteilen", sagt Steinhaus. Die Quote erfolgreicher Widersprüche zeige, wie viel schieflaufe. In rund 90 Prozent der mit Unterstützung von "Sanktionsfrei" beanstandeten Fälle müsse das Jobcenter nachzahlen.

Ist die Erstattung angekommen, bittet der Verein die Empfänger:innen, die zuvor erhaltene Unterstützung zurückzuzahlen. "Das funktioniert im Großen und Ganzen", sagt Steinhaus. Sie setzt auf Vertrauen. Das ständige Misstrauen, das Erwerbslosen entgegengebracht werde, sei unzeitgemäß.

Die Sanktionen sollen motivieren und aktivieren, doch das Gegenteil ist der Fall. Studien zeigen, dass Sanktionen zwar kurzfristig bewirken, dass Jobs angenommen werden. Aber im Durchschnitt sind die Leute nach drei Monaten wieder im Jobcenter, viele ziehen sich zurück.

Sie ist stolz auf die 270 000 Euro Spendengelder, mit denen ihr Verein bis heute Betroffene unterstützen konnte. Rund 1000 Dauer- und einige Großspender:innen füllen den Solidartopf. "Auch in Fällen, in denen das Jobcenter für gestiegene Strompreise oder andere existenzielle Ausgaben kein Darlehen gewährt, helfen wir, solange Geld da ist."

Auf das Bürgergeld, das die Ampel-Koalition plant, blickt sie nun mit einer Mischung aus Hoffnung und Skepsis. Die Idee gehe grundsätzlich in die richtige Richtung. Doch ihre Sorge ist, dass auch ein Bürgergeld letztlich keinen tiefgreifenden Wandel im Sozialsystem bringt. "Wir sollten allen Menschen ein Minimum garantieren, ohne dafür Bedingungen zu stellen", findet sie. "Das ist eine Frage der Würde."

Brigitte

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