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Persönliche Entwicklung "Queermentor"-Netzwerk: Ein sicherer Ort für junge, queere Menschen

Zeichnung: Fäuste mit bunten Schweißbändern in Pride-Farben zeigen in die Luft
© Kakigori Studio / Adobe Stock
Pavlo Stroblja ist Gründer des Netzwerks "Queermentor" – einer Plattform, die es queeren Menschen ab 16 Jahren ermöglicht, sich kostenlos mit Gleichgesinnten auszutauschen und sich persönlich oder beruflich weiterzuentwickeln. In unserem Interview erklärt er, warum das so wichtig ist.

LGBTQI+ Menschen erkranken laut einer Studie des DIW Berlin aus 2021 häufiger an Depression und Burnout. Sie seien fast drei Mal häufiger betroffen als andere Menschen in Deutschland. "Gesellschaftliche und institutionelle Diskriminierung gehen Hand in Hand mit einer deutlich höheren psychischen und körperlichen Belastung", so die Soziologin Mirjam Fischer, die sich in ihren Studien viel mit der LGBTQIA+ Community beschäftigt. Umso wichtiger also, dass es ein Netzwerk wie "Queermentor" gibt, dass an diesen Stellen ansetzt und Menschen nicht nur berufliche Chancen, sondern auch den Raum für persönliche Weiterentwicklung gibt.

"Unser Ziel ist es, Queermentor nachhaltig auf die Beine zu stellen, damit wir unsere Mission für Chancengleichheit unabhängig der sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität durch konkrete Maßnahmen weiterverfolgen können." - Pavlo Stroblja
"Unser Ziel ist es, Queermentor nachhaltig auf die Beine zu stellen, damit wir unsere Mission für Chancengleichheit unabhängig der sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität durch konkrete Maßnahmen weiterverfolgen können." - Pavlo Stroblja
© Queermentor / Elvira Remo

Für Gründer Pavlo Stroblja waren Netzwerke zum Female Empowerment in Deutschland ein gutes Vorbild, das zur Gründung der queeren Organisation geführt hat. Er selbst ist zudem Business Coach und Trainer. Während seiner Ausbildung habe er sich gefragt, warum die meisten Menschen keinen Zugang zu diesen Themen hätten. "Vor allem Menschen, die Diskriminierung und Ausgrenzung erfahren, sollen meiner Meinung nach ein kostenloses Angebot an solchen bestärkenden Formaten haben, um resilienter und widerstandsfähiger zu werden", so Stroblja. Inzwischen wirken mehr als 200 ehrenamtliche Expert:innen aus 20 verschiedenen Branchen mit und stehen als Wegbegleiter:innen zur Verfügung. 

BRIGITTE: Für dein Coming-out musstest du erst in ein anderes Land – warum? Wie ist die Situation für queere Menschen in der Ukraine – wie war sie speziell für dich – und inwiefern ist sie in Deutschland eine andere, deiner Meinung nach?
Pavlo Stroblja: Mein erstes Coming-out hatte ich bei meiner besten Freundin in der Schule in der Ukraine – da war ich in der 10. Klasse. Als ich mich bei ihr geoutet habe, ist sie in Tränen ausgebrochen, weil sie – wie sie mir später erklärte – Angst um mich hatte. Queere Menschen werden oft Opfer von Hasskriminalität und Gewalt, die sich nicht an einzelne Personen richten, sondern an die gesamte LGBTQIA+ Community.

Nach meinem ersten Coming-out habe ich mich dafür entschieden, dieses Thema zunächst für mich zu behalten und erst zehn Jahre später, als ich für ein Studium nach Heidelberg gezogen bin, fühlte ich mich sicher genug, mich wieder zu öffnen. Es ist ein befreiendes Gefühl, man selbst zu sein und sich nicht verstecken zu müssen. Da ich in Deutschland in diesem Zusammenhang auf positive Reaktionen gestoßen bin und viel Unterstützung und Zuspruch erlebt habe, entschied ich mich, nicht mehr in die Ukraine zurückzukehren.

Ganz simpel gefragt: Warum sollte eine queere Person eine berufliche Neuorientierung brauchen?
Berufliche Neuorientierung oder Orientierung insgesamt ist ein großes Thema gerade bei der Gen Z. Heutzutage haben wir eine viel größere Auswahl bei der Berufswahl, es wird von Fachkräftemangel gesprochen und neue Strategien im Bereich Employer Branding werden ausgearbeitet. Eine der uns am meist gestellten Fragen von jungen Queeren, die sich auf dem Arbeitsmarkt umschauen, lautet: Woher weiß ich, dass dieses Unternehmen queerfriendly ist? Junge Bewerber:innen gehen sehr bewusst mit der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz um. Es liegt nicht zuletzt daran, dass viele bereits in der Vergangenheit eine Ausgrenzungserfahrung gemacht haben und diese zukünftig vermeiden möchten.

Mit welchen Geschichten seid ihr seit der Gründung konfrontiert? Was blieb dir besonders in Erinnerung und warum?
Die Geschichten der Menschen, die sich an uns wenden und Hilfe suchen oder Unterstützung anbieten, sind alle einzigartig. Es ist eine der wichtigsten Formen des Empowerments, Menschen zu finden, die an uns glauben und uns nicht in Schubladen stecken oder verurteilen. Wir haben im Netzwerk junge Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und in vielen Familien wird das "Queersein" der eigenen Kinder nicht akzeptiert oder nicht ernst genommen. Die Eltern betrachten ein Coming-out als "eine Phase, die bald vorbei ist" und nehmen ihren Kindern somit das Recht auf Selbstbestimmung.

Eine Geschichte, die mir besonders in Erinnerung blieb, ist die von Pasha, einem jungen trans* Mann, der nach Deutschland zwecks Studium eingereist ist und hier seine Transformation begonnen hat. Als er sich bei uns gemeldet hat, stand Pasha am Anfang seiner Transition und wünschte sich eine Person, die den Weg bereits gegangen war und aus eigener Erfahrung berichten würde. Wie vernetzten Pasha mit Max Appenroth, einer Person, die viel Aufklärungsarbeit im Bereich LGBTQIA+ und Diversity leistet. Die beiden gingen gemeinsam durch Pashas Transition und konnten viel miteinander und voneinander lernen.

"Für mich als queere trans Person gab es zu Beginn meines Wegs kaum Vorbilder. Gerne möchte ich anderen zeigen, dass wir selbst Autor:innen unserer eigenen Lebensgeschichten sind und trotz der Hürden in der Gesellschaft glückliche und erfolgreiche Menschen sein können." - Max Appenroth, Mentor bei "Queermentor"
"Für mich als queere trans Person gab es zu Beginn meines Wegs kaum Vorbilder. Gerne möchte ich anderen zeigen, dass wir selbst Autor:innen unserer eigenen Lebensgeschichten sind und trotz der Hürden in der Gesellschaft glückliche und erfolgreiche Menschen sein können." - Max Appenroth, Mentor bei "Queermentor"
© Max Appenroth

BRIGITTE: Gibt es Unterschiede in der Behandlung zwischen den Geschlechtern? Wird also beispielsweise das Coming-out einer weiblich gelesenen Person im beruflichen Kontext anders aufgenommen als bei einer männlich gelesenen?
Pavlo Stroblja: Mit Sicherheit werden verschiedene Teile der Community von der Mehrheitsgesellschaft unterschiedlich akzeptiert. Wir vergessen oft, dass wir als LGBTQIA+ zwar geschlechtliche Vielfalt und verschiedene Lebensrealitäten repräsentieren, dennoch haben manche Gruppen mehr Privilegien und werden weniger diskriminiert als andere. Manche Personen erfahren sogar mehrfach Diskriminierung – zum Beispiel aufgrund der Hautfarbe und geschlechtlichen Identität. Für mich bedeuten Privilegien auch Verantwortung. Als weißer schwuler cis* Mann gehöre ich zu der wahrscheinlich am meisten privilegierten LGBTQIA+ Gruppe. Ich nutzte mein Privileg und die damit verbundene Macht, um Queermentor zu gründen und den Zugang zu den wichtigen Tools der Entwicklung und Resilienz für die gesamte Community zu ermöglichen.

lkl / csc Brigitte

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