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"Nicht die Frauen, die Chefs müssen sich ändern!"

Veranlagung oder Erziehung? Das ewige Geschlechter-Rätsel ist gelöst. Zumindest für die kanadische Psychologin SUSAN PINKER.

Sie kommt auf die Minute pünktlich. "Hi", sagt Susan Pinker, und legt ihren Fahrradhelm auf einen Stuhl im Frühstückszimmer des Chateau Versailles, einem kleinen Montrealer Hotel. Die Frau sieht nicht aus, als ob sie 24 Stunden am Tag im Staub von Bibliotheken nach Erkenntnis wühlt. Sie strahlt Lebensfreude aus. Und Energie – die braucht sie auch, denn seit ihr Buch „Das Geschlechter-Paradox“* in Kanada erschienen ist, will jeder mit der Psychologin über die Unterschiede zwischen Frau und Mann diskutieren.

BRIGITTE: Frauen sind anders, Männer auch – ist das nicht eine Binse?

SUSAN PINKER: Stimmt, wir erleben es jeden Tag, wissen aber nicht genau, warum. Neueste Ergebnisse aus Hormonforschung und Neurologie haben jetzt aber zum ersten Mal ganz klar bewiesen, dass Frauen und Männer verschieden sind. Das Klischee von den einfühlsamen Frauen zum Beispiel, das ist Realität. Und zwar liegt das an der Wirkung des Männerhormons Testosteron und des Frauenhormons Oxytozin.

BRIGITTE: Hoppla, das klingt aber verdächtig nach Macker und Muttchen.

SUSAN PINKER: Nein, nein. Ich sage nur, dass Männer und Frauen keine biologischen Klone sind. Das sollten wir endlich akzeptieren. Es wäre kein Rückschritt, sondern eine Weiterentwicklung.

BRIGITTE: Wieso das?

SUSAN PINKER: Nur auf dieser Basis können Frauen ihre Qualitäten entfalten, zum Beispiel in der Berufswelt. So lange sie bloß als Männervariante gelten, kommen sie da nicht richtig zum Zug.

BRIGITTE: Was macht Sie da so sicher?

SUSAN PINKER: Meine Erfahrung im Job. Ich arbeite seit vielen Jahren als Kinderpsychologin und meine Patienten sind zu 85 Prozent verhaltensauffällige Jungen. Würde man die Zukunft aufgrund schulischer Leistungen voraussagen, wäre die Welt ein Matriarchat. Erstaunlichweise werden aus den schwierigen Schülern aber später oft brillante Wissenschaftler oder Unternehmer, während die schlauen Mädchen im Job auf der Strecke bleiben.

BRIGITTE: Und woran liegt das?

SUSAN PINKER: Die Jobwelt wurde von Männern für Männer erfunden. Da passen Frauen mit ihren Fähigkeiten und Erwartungen oft nicht rein. Dabei wollen immerhin 50 Prozent beides: Mehrere Kinder UND einen anspruchsvollen Job.

BRIGITTE: In der aktuellen BRIGITTE-Studie "Frauen auf dem Sprung" waren es sogar noch mehr – vor allem bei den 17- bis 19-Jährigen.

SUSAN PINKER: Sehen Sie! Diese junge Generation ist noch viel weniger bereit, sich wie ein Männerklon zu benehmen. Ich bin 1957 geboren, meine Generation gehörte zu den ersten, der alle Türen offen standen. Und was haben wir gemacht? Wir haben versucht, wie Männer zu sein. Wir dachten, dann wird alles perfekt. Aber das klappt so nicht.

BRIGITTE: Was ist Frauen im Job wirklich wichtig?

SUSAN PINKER: Etwa ein Drittel der Frauen stellt ein hohes Gehalt an erste Stelle. Das ist der Hillary-Clinton-Typ, der sehr gekonnt in der Männerwelt mitmischt. Aber ich rede in meinem Buch von den anderen Frauen und das sind über 60 Prozent. Die legen vor allem Wert auf Flexibilität, faire Kollegen und einen Job, der sie interessiert und ausfüllt.

BRIGITTE: Frauen wollen Verantwortung – das sagt die BRIGITTE-Studie übrigens auch...

SUSAN PINKER: ... aber eben nicht nur im Beruf. Sie wollen auch gute Mütter und Töchter sein, sich um ihre alternden Eltern kümmern und um ihren Freundeskreis.

BRIGITTE: Aber wollen viele Männer das inzwischen nicht genauso?

SUSAN PINKER: Aber sie leben es nicht in dem Maße aus. Oder noch nicht – muss man vielleicht sagen. Männer sind einfach extremer. Die powern los, um ein einziges Karriereding zu schaffen und verdienen dabei auch noch viel Geld. Bloß Freunde haben sie kam, und ihre Familie sehen sie nur selten. So ein Job-Leben finden viele Frauen überhaupt nicht toll.

BRIGITTE: Welche Konsequenzen hat das für die Unternehmen?

SUSAN PINKER: Die müssen endlich umdenken. Die meisten agieren wie ein Männerclub, der nach Jahrhunderten auch für Frauen geöffnet wird. Aber dann gibt es nur ein einziges Menü: Steak. Die Frauen sagen: Wie? Ist das alles? Und die Männer antworten: Das ist das, was alle immer gewollt haben. Wenn ihr was anderes möchtet, dann müsst ihr gehen. Und das tun die Frauen auch: Sie gehen.

BRIGITTE: Also müssen die Firmen gegensteuern – aber wie?

SUSAN PINKER: Sie müssen ihre Haltung ändern, Auszeiten und Teilzeit nicht als mangelndes Engagement interpretieren. Und sie müssen längerfristig denken. Für Frauen macht es keinen Sinn, wenn alle Weichen im Beruf zwischen Ende 20 und Ende 30 gestellt werden. Wir brauchen einen fundamentalen Wandel, die Unternehmen müssen akzeptieren, dass gleiche Rechte für Frauen und Männer nicht ausreichen, weil die Geschlechter nicht identisch sind.

BRIGITTE: Sie schreiben, dass Frauen nicht so wettbewerbsorientiert wie Männer seien ...

SUSAN PINKER: Einspruch! Ich sage nur, dass sie nicht so viel Spaß daran haben wie Männer. Sie kriegen dabei einfach nicht den gleichen Adrenalinrausch. Frauen agieren meist integrativer. Anstatt sich vorzudrängeln, erwarten sie oft, dass jemand ihre Qualitäten erkennt und sie fördert.

BRIGITTE: Deshalb heißt es ja immer wieder, Frauen sollen sich ändern, um mehr Erfolg zu haben.

SUSAN PINKER: Nein, sollen sie nicht! Die Chefs müssen sich ändern. Wenn jetzt bewiesen wurde, dass Frauen anders reagieren, dann ist es doch eine Art passive Diskriminierung, sie wie Männer zu behandeln. So bleiben Frauen immer nur zweite Wahl. Und den Unternehmen gehen viele kompetente Mitarbeiterinnen verloren. Dabei weiß man doch inzwischen, dass Firmen mit weiblichen Führungskräften erfolgreicher wirtschaften als andere.

BRIGITTE: Ist die Zukunft weiblich?

SUSAN PINKER: Könnte man so sehen.

BRIGITTE: Eigentlich scheinen sich klassische Geschlechterrollen doch zunehmend aufzulösen – wie passt das zu Ihren Thesen?

SUSAN PINKER: Ich sage ja nur, dass unsere Biologie der Punkt ist, wo es anfängt. Aber sie ist nicht der Moment, wo automatisch alles aufhört.

BRIGITTE: Wie ist denn der Testosteronwert von Hillary Clinton? Oder der Oxytozinwert von Brad Pitt, der sich als aktiver Vater präsentiert?

SUSAN PINKER: Das wurde leider noch nicht gemessen. Aber es wäre sicher eine interessante Untersuchung.

*Susan Pinker: Das Geschlechter-Paradox. Über begabte Mädchen, schwierige Jungs und den wahren Unterschied zwischen Männern und Frauen (17,95 Euro, DVA)

Heiss debattiert

Ihr Name: Susan Pinker Ihre Jobs: Arbeitet als Psychologin seit 30 Jahren mit verhaltensauffälligen Kindern. Hat als Dozentin im Fach Erziehungspsychologie an der McGill-Universität in Montreal unterrichtet. Schreibt als Journalistin über sozialwissenschaftliche Themen. Ihre Interessen: Wie sich die Unterschiede zwischen den Geschlechtern entwickeln und in verschiedenen Lebensphasen verändern. Ihre Familie: Die 51-Jährige lebt mit Mann und drei Kindern in Montreal.

Interview: Christa Thelen

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