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#MeToo - was hat uns die Debatte eigentlich gebracht?

#MeToo - Was hat die Debatte gebracht?
© Mihai Surdu / Shutterstock
Die #MeToo-Debatte wird noch immer leidenschaftlich geführt - aber was hat sie bisher gebracht? Die Geschlechter-Forscherin Prof. Dr. Paula-Irene Villa sagt: echte Veränderungen.

BRIGITTE: Seit Oktober 2017 wird unter dem Kürzel "#MeToo" über sexuelle Belästigung und schlimmere Formen von Übergriffen auf Frauen diskutiert. Wo steht die Debatte heute, ein gutes halbes Jahr später?

Dr. Paula-Irene Villa: Es ist schwer, von der einen Debatte zu sprechen. Denn #MeToo hat so viele Facetten. Unter dem Hashtag zeigt sich, wie vielschichtig das Thema sexualisierte Gewalt ist. Aber auch, dass es sich nicht so präzise und verbindlich einhegen lässt. Weil wir eben nicht sagen können, genau das ist sexualisierte Gewalt und alles andere hat damit nichts zu tun. Unter #MeToo ist ein neues Bewusstsein dafür entstanden, wie die Dinge zusammenhängen.

Welche Zusammenhänge meinen Sie?

Körperliche Übergriffe sind möglich, weil eine
Kultur der Frauenverachtung und der gleichzeitigen Sexualisierung von Frauen das zulässt. Ich
will damit nicht sagen, dass jeder Blick, jedes fehlgeleitete Kompliment das Gleiche ist wie eine Vergewaltigung. Aber es existiert eine nach wie vor gültige Form von weiblicher Sozialisation, die einer Frau bedeutet: Seine Bedürfnisse sind wichtiger als deine; du bist diejenige, die im Zweifelsfall schuld oder falsch ist. Das prägt das weibliche Aufwachsen immer noch sehr stark, eigentlich überall auf der Welt. Aber je nach Kontext spezifisch.

Hilft #MeToo den Frauen anzusprechen, wenn sie ein bestimmtes Verhalten für übergriffig halten?

Ja, sie kommen davon weg zu denken: Ach, war nicht so schlimm, ich vergesse es einfach wieder, ist mir eh zu peinlich. Die entscheidende Frage, die #MeToo aufgeworfen hat, ist: Warum ist das für mich schamvoll? Warum schämt sich nicht der andere? Wären wir als Frauen anders sozialisiert, würde es uns viel besser gelingen, so ein Schamgefühl aufzulösen. Aber die Scham liegt immer bei den Opfern. Das ist auch die Funktion dieser Übergriffe. Es geht um Macht - nicht um Sex. Der andere sagt im übertragenen Sinn: Ich kann dich beschämen. Ich benutze dich, ich greife auf deinen Körper über. Es geht hier um strukturelle Machtasymmetrien. Darum, Menschen an ihrem Platz zu halten. In der Regel sind es Männer, die am längeren Hebel sitzen, und Frauen, die da ausgeliefert sind. Es liegt aber nicht in der Natur des Mannes und der Natur der Frau. Auch Männer oder Jungen werden Opfer von solchen Übergriffen.

Aber durch #MeToo dreht sich jetzt was - wir wollen das nicht mehr länger hinnehmen?

Ich kriege Anfragen von Unternehmen und Institutionen,
die wollen wissen, was sie jetzt tun können. Da setzt schon eine große Selbstkritik und Reflexion ein. Ein aufrichtiges Bemühen, ein Ringen darum, das Problem anzuerkennen und in Zukunft viel besser hinzuhören. Zum Beispiel in der Filmbranche. Die Wedel-Geschichte (die Vorwürfe von Belästigung und Vergewaltigung gegen den Regisseur Dieter Wedel, Anm. d. R.) ist eine Zeit lang ja ziemlich abgewehrt worden. Aber es gibt jetzt viele Stimmen, auch Männer, die sich zu Wort melden. Wir fangen endlich an zu fragen: Inwieweit beruht die Vorstellung von eigentlicher Männlichkeit und von Macht darauf, andere abzuwerten, zu beherrschen, und unberührbar zu sein für Zweifel oder Unbehagen von anderen oder auch seiner selbst?

Warum ist es ein Missverständnis zu glauben, dass, wenn wir uns gegen sexuelle Übergriffe zur Wehr setzen, zugleich der Erotik und dem Sex ihr Spiel ausgetrieben würde?

Ganz einfach, weil Sex und Erotik weiterhin
viel Raum haben. Aber eben nicht da, wo wir uns professionell, sachlich oder gar nicht (wie im Bus) begegnen möchten. Weder werde ich über meine Studenten herfallen noch möchte ich auf dem Einwohnermeldeamt begrapscht werden. Wenn mir aber ein Kollege auf einer Konferenz gut gefällt, dann können wir beide doch verabreden, nach dem Vortrag noch etwas gemeinsam zu trinken. Und dann lustvoll ausloten, uns gemeinsam aus dem beruflichen Kontext zu entfernen. Das sind dann nicht mehr zwei Kollegen, sondern zwei Menschen, die sich anflirten. Diese Möglichkeit ist nach wie vor total da, wenn man respektvoll auf Augenhöhe miteinander umgeht. Auch ohne einen Vertrag zu unterschreiben. Und doch offen dafür zu bleiben, dass der eine von beiden sagt, jetzt ist es genug.

Kritiker stöhnen ja, immer mehr Regeln würden die Lust in die totale Prüderie überführen ...

Das wiederum halte ich für verklemmt. Sexualität ist doch keine total regelfreie Sache. Sado-Maso-Sexualität zum Beispiel - die nichts anderes tut, als auf eine spezsche Weise den Lustgewinn zu steigern - hat sehr viele klare Regeln.

Die französische Schriftstellerin Catherine Millet kritisierte massiv den „Opferdiskurs“ von Frauen, dass sie jetzt so vehement über ihre weiblichen Nöte sprechen.

Was jetzt in Gang kommt, ist das Empowerment, endlich aus der Opferrolle herauszukommen. Es ist auch völlig legitim festzustellen, dass einem gar nicht so klar war, wie mies oder beschämend eine Situation war. Selbst wenn das ewig her ist. Das ist das Gegenteil einer Opfer-Haltung.

Inwieweit hat die Diskussion alle Frauen erreicht? Wird sie bei uns womöglich vornehmlich im Feuilleton geführt?


Nein. Täuschen wir uns nicht - es gibt sehr niveauvolle Debatten dort, wo Menschen kein Feuilleton lesen. Es ist nicht nur eine bestimmte Schicht, die #MeToo diskutiert. Ich fand die Golden-Globe-Verleihung im Januar da ziemlich genial. Exponierte Hollywood-Schauspielerinnen hatten auf dem roten Teppich nicht ihren Mann dabei, sondern eine Aktivistin, eine Betroffene, zum Beispiel eine einfache Angestellte. Und dann haben sie gesagt: "So, liebe Paparazzi, ihr fragt, ob das Kleid von Gucci oder Versace ist? Ich sage euch, sprecht lieber mit der Frau neben mir!" Sie haben ihre Sichtbarkeit genutzt, um die Bühne breit zu machen. Sie haben gezeigt: Wir sind ganz viele, aus allen Milieus.

Dr. Paula-Irene Villa, 49, ist Professorin für Soziologie und Gender Studies an der Uni München. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit dem Zusammenhang von Körper, Geschlecht und Gesellschaft, zum Beispiel in ihrer Forschung zur kosmetischen Chirurgie

Brigitte 08/2018

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