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"Fear of meeting up" Soziale Kontakte – können wir das noch? Die Pandemie endet und die Angst, andere zu treffen, kommt

"Fear of meeting up": Freunde beim Grillen und Trin
Drei Haushalte auf einem Bild – sieht noch komisch aus, ist aber schon länger wieder erlaubt
© Impact Photography / Shutterstock
Das Leben nimmt wieder Fahrt auf, doch das verursacht nicht bei allen Euphorie. Die Aussicht, jetzt wieder mehr Menschen zu begegnen, sorgt bei einigen für gemischte Gefühle – aus unterschiedlichen Gründen.

Endlich fühlt sich das Leben wieder nach Leben an. Die Welt wirkt, als sei sie aus einem langen Winterschlaf erwacht – nicht nur, weil Sommer ist. Auch die Corona-Pandemie scheint sich dem Ende zuzuneigen: Angesichts sinkender Infektionszahlen, stetig wachsender Impfquoten und gelockerter Kontaktbeschränkungen wird endlich wieder möglich, was monatelang verboten war. Dazu zählen zum Beispiel Veranstaltungen und Treffen in größeren Gruppen.

Lange gehegte Pandemie-Wünsche werden wahr – doch das sorgt auch für ein ungutes Gefühl. Bei vielen Menschen ist die Unsicherheit groß, sich zurück in das wieder pulsierende Leben zu wagen. In vorpandemischen Zeiten litt vor allem die junge Generation an der Volkskrankheit Fomo ("Fear of missing out", auf Deutsch: "Angst, etwas zu verpassen"). Jeder wollte überall dabei sein im riesigen Sortiment an Möglichkeiten. Jetzt lässt sich ein Phänomen beobachten, dass mittlerweile unter dem Namen Fomu firmiert: Fear of meeting up, die Angst davor, sich mit anderen zu treffen.

"Fear of meeting up": Wollen wir wirklich wieder unter Menschen?

Das Phänomen hat im Wesentlichen zwei Ursachen. Einerseits ist die Corona-Pandemie – auch wenn es mitunter den Anschein hat – noch nicht vollends ausgestanden. Immer noch sind viele Menschen nicht geimpft, Expertinnen und Experten wie der SPD-Politiker Karl Lauterbach und die Virologin Melanie Brinkmann warnen vor einer vierten Welle. Eben erst musste Großbritannien wegen der Verbreitung von Virusvarianten die angekündigte Aufhebung der Lockdown-Maßnahmen verschieben. 

Einige Menschen lassen deshalb lieber weiter Vorsicht walten, statt sich bedenkenlos zurück ins Leben zu stürzen. Das gilt vor allem für jene, die noch nicht geimpft sind. Sie wollen vermeiden, auf den letzten Metern der Pandemie noch mit dem Coronavirus infiziert zu werden und dadurch eventuell schwere langfristige gesundheitliche Schäden zu erleiden. An größeren Veranstaltungen teilzunehmen oder mehrere Freunde gleichzeitig zu treffen, wirkt da nicht verlockend, manchmal sogar eher abschreckend.

Einige haben es sich im Lockdown bequem gemacht

Die zweite Gruppe erlebt das Fomu-Gefühl weniger aus Vorsicht als vielmehr aus Bequemlichkeit. Manche haben sich während der Lockdown-Monate ganz gut eingerichtet in ihrer erzwungenen, aber nicht unbedingt unangenehmen Zurückgezogenheit. Man konnte seine Zeit relativ frei einteilen, hatte seine Ruhe, der soziale Druck fiel weg. Fomu gibt es nur, weil plötzlich klar wurde, wie schön ein Leben ohne Fomu sein kann.

Soziale Kontakte sind während der Pandemie zur Ausnahme geworden – die Interaktion miteinander müssen viele erst wieder lernen. Sich in größeren Gruppen zu bewegen, Geräuschkulissen und Eindrücke verarbeiten zu müssen, ist vor allem für introvertierte und sensible Menschen anstrengend. Und viele Personen, die nun seit mehr als einem Jahr vornehmlich im Homeoffice arbeiten, fragen sich, ob sie überhaupt wieder zurück ins Büro wollen. Die Alternative zum Rausgehen, nämlich einfach weiter auf dem Sofa sitzenzubleiben, ist jetzt eine ernstzunehmende Option.

Dort draußen nämlich wartet eine Welt, in der man ständig etwas beweisen und präsentieren muss, in der soziale Erwartungen herrschen, wie man sich anzuziehen, was man zu sagen oder wie man auszusehen hat. All das spielt in den eigenen vier Wänden keine Rolle. Auch diese Faktoren führen dazu, dass die Aussicht auf ein Leben wie vor der Pandemie nicht überall Euphorie auslöst.

Zurück in eine Welt voller Erwartungen

Experten sprechen auch vom Cave-Syndrome ("Höhlensyndrom"): Viele haben sich so sehr an das Leben in der Höhle gewöhnt, dass sie sich kaum noch vorstellen können, wieder ans Licht zu treten. Daten dazu gibt es aus den USA, wo die Impfquote bereits deutlich höher liegt als in Deutschland. In einer im März veröffentlichten Studie der American Psychological Association gaben 49 Prozent der Befragten an, der Gedanke daran, wieder soziale Interaktionen aufzunehmen, bereite ihnen ein schlechtes Gefühl. Dabei machte es nur einen geringen Unterschied, ob die Personen geimpft waren oder nicht. 46 Prozent verspürten Unbehagen dabei, nach der Pandemie wieder zu einem Lebensstil wie vor der Corona-Zeit zurückzukehren.

Letztendlich aber, so sagen Psychologen, ist alles eine Sache der Gewohnheit. "Unser Gehirn beobachtet unser Verhalten und passt sich an. Wenn wir uns selbst dabei beobachtet haben, wie wir es vermeiden rauszugehen, ergibt es Sinn, dass es jetzt wie eine Bedrohung erscheint", sagte die auf Angststörungen spezialisierte Psychologin Ellen Hendriksen der BBC. Der Übergang mag sich schwierig gestalten und seltsam anfühlen, sobald wir uns aber wieder an soziale Kontakte gewöhnt haben, dürfte bei den meisten auch dieses Gefühl verschwinden. Und schließlich gab es auch nicht wenige, die darauf hingefiebert haben, wieder Menschen sehen zu dürfen: Vor allem Teenager und junge Erwachsene haben laut der Umfrage der American Psychological Association während des Lockdowns unter starkem Stress und teils auch unter psychischen Problemen gelitten.

Quellen: American Psychological Association / BBC

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf stern.de.

epp/stern

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