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Petition das "N-Wort stoppen" "Es ist beschämend, dass weiße Menschen um dieses Wort kämpfen"

Charlotte Nzimiro
Charlotte Nzimiro
© DOMAR Film / Verena Mühling
Rassismus ist in unserem Alltag so verwurzelt wie der morgendliche Griff zur Zahnbürste. Ein Wort ist schnell ausgesprochen, ein Kommentar gedankenlos abgelassen – was das bei Schwarzen Menschen auslöst, können sich nur die wenigsten vorstellen. Jeden Tag sind sie mit den verschiedensten Aggressionen und Alltagsrassismen konfrontiert. So auch unsere starke Frau des Monats, Charlotte Nzimiro. Sie setzt sich mit einer Petition dafür ein, dass das N-Wort als eine rassistische Beleidigung anerkannt wird.

Der Interviewtag ist wolkenbehangen, aber warm, auf dem Tisch stehen zwei Gläser mit Eiskaffee, die bei jeder Bewegung die Eiswürfel zum Klirren bringen. Das Gespräch mit der Aktivistin und Journalistin Charlotte Nzimiro, 29, findet in einer ruhigen Umgebung statt, denn das Thema wühlt auf. Bei einigen Fragen denkt sie länger nach, bei anderen wird die Stimme lauter und der Ton schärfer, bei wieder anderen bricht sie im Satz ab, wischt die Tränen weg und atmet tief durch.

Seit drei Jahren ist sie als Aktivistin unterwegs, versucht aufzuklären, wo sie kann, und hat ihre Geschichte, ihr Leben und was hinter der Petition steckt, schon Dutzende Male ausgebreitet. Sie selbst wurde ihr Leben lang mit Rassismus konfrontiert – mal direkt, mal subtil als Mikro-Aggressionen oder unterschwellig. Sie wurde in Schubladen gesteckt, vorverurteilt und beleidigt.

Und trotzdem schaut sie einem mit festem, warmem Blick in die Augen, ist fröhlich und offen und bereit, ein weiteres Mal zu erklären, warum das N-Wort aus dem Sprachgebrauch – vor allem weißer Menschen – gestrichen werden sollte. Nzimiro lehnt sich zurück, nimmt einen Schluck von dem kühlenden Getränk und beginnt von vorne zu erzählen – immer mit einem Ausdruck, der Hoffnung macht, dass wir es doch noch schaffen können: eine Gesellschaft ohne Rassismus.

BRIGITTE: Wie kam es dazu, dass Sie die Petition das "N-Wort stoppen" gestartet haben?

Charlotte Nzimiro: Ich saß gerade in der Bahn, als mein Handy vibrierte. In einer Pushnachricht eines News-Portals prangte in der Überschrift das N-Wort. Das war ein Schock. Was passiert hier? Ich habe dann natürlich draufgeklickt und gesehen, dass es sich um ein Urteil des Landesverfassungsgerichtes in Mecklenburg-Vorpommern handelte.

Was genau besagte das Urteil?

Damals war Mignon Schwenke von den Linken die Landtagspräsidentin in Mecklenburg-Vorpommern. Im Oktober 2018 verwendete der AfD-Politiker Nikolaus Kramer immer wieder das N-Wort im Zusammenhang mit einem Thema zu Asylbewerber:innen. Schwenke erteilte ihm nachträglich einen Ordnungsruf, gegen den Kramer dann wiederum Klage einreichte. Fast ein Jahr später gab das Landesverfassungsgericht Kramer recht. Zum einen aus formalen Gründen, zum anderen aber, weil das N-Wort ihrer Meinung nach nicht pauschal verletzend oder abwertend gemeint ist. Es würde also auf den Kontext ankommen, in dem das Wort verwendet würde.

Wie haben Sie sich in diesem Moment gefühlt?

Es war wie ein Schlag in die Magengrube. Es konnte einfach nicht wahr sein. In was für einem Land lebe ich denn hier? Was ist das für ein Rechtssystem und man hat natürlich auch Angst. Ich hatte einfach den Drang, jetzt etwas dagegen tun zu müssen.

Und warum dann eine Petition?

Weil man das sofort umsetzen kann. Eine Demo muss man erst mal groß planen. Die Petition habe ich noch in der Bahn gestartet. Ich war so wütend. Ich habe einen Text verfasst, ein Screenshot dazu gestellt und einfach veröffentlicht. Als ich aus der Bahn ausstieg, war sie schon im Umlauf.

Und wie viele Unterschriften waren es am Ende?

Ich hätte nie damit gerechnet, dass es am Ende über 196.000 Unterschriften werden. Es hat sich einfach verselbstständigt. Ich hätte gedacht, das geht einfach wieder unter, wie so vieles, aber dann haben es unter anderem Aminata Touré und Aminata Belli geteilt, Nura und Olli Schulz.

Wofür genau steht die Petition?

Dafür, dass das N-Wort als eine rassistische Beleidigung anerkannt wird – egal in welchem Kontext.

Was steckt denn hinter dem N-Wort?

Für viele ist es einfach nur ein Wort. Was auch daran liegt, dass Deutschland seine Geschichte, wie unter anderem den Völkermord an den Herero und Nama nicht aufarbeitet [Anm.d. R.: Der deutsche Generalleutnant Lothar von Trotha befahl im Oktober 1904 die völlige Vernichtung der Herero. Im April 1905 folgte der Befehl für das Volk der Nama. Schätzungsweise 100.000 Menschen wurden durch deutsche Truppen im heutigen Namibia ermordet, verdursteten in der Omaheke-Wüste oder starben in Konzentrationslagern. Der Genozid gilt als der erste des 20. Jahrhunderts]. Das N-Wort ist einfach eine Entmenschlichung. Man hat Schwarze Menschen nicht gefragt: Wie möchtet ihr genannt werden? Man hat einfach ein Wort genommen und es diesen Menschen zugeteilt. Es schafft eine Distanz, eine Hierarchie. Man nimmt diesen Menschen ihre Identität. An dem Volk der Herero und Nama wurden Versuche durchgeführt, sie wurden vergewaltigt und gefoltert. Bis heute hat Deutschland keine angemessenen Reparationszahlungen an die Hinterbliebenen geleistet. Es sollen jetzt 1,1 Milliarden Euro gezahlt werden an Entwicklungshilfe. Das ist ein Witz.

So viel steckt hinter einem Wort.

Und das ist noch längst nicht alles. Deutschland hatte Menschenaustellungen, wie zum Beispiel auch der Tierpark Hagenbeck, der sich bis heute dazu nicht äußert. Man nahm ihnen ihre Menschlichkeit, um irgendwie zu rechtfertigen, sie noch geringer als Tiere behandeln zu können. Es geht um Macht, Geld und Ausbeutung.

In Diskussion, gerade mit weißen Menschen, fällt immer wieder das Argument, dass Schwarze das N-Wort selbst doch nutzen würden. Warum ist es Ordnung, wenn Schwarze Menschen es nutzen, aber nicht, wenn weiße es nutzen?

Rassismus ist eine Machtstruktur, in der weiße Menschen ganz oben stehen. Daher hat es eine ganz andere Gewichtung, wenn eine weiße Person dieses Wort benutzt, deren Vorfahren Schwarze Menschen ausgebeutet und erniedrigt haben. Schwarze Menschen untereinander sind auf Augenhöhe, es ist eine Art Selbstermächtigung. Wir nehmen dieses Wort, das uns einfach zugeteilt wurde, verwenden es selbst und nehmen ihm damit die Macht über uns. Ihr habt uns Hunderte Jahre so genannt und jetzt drehen wir es um und bestimmen, wer es sagen darf und wer nicht – wir haben dafür mit Blut und Tod bezahlt. Ich finde es beschämend, dass weiße Menschen teilweise so darum kämpfen, dieses Wort weiterhin zu benutzen.

Das stammt wahrscheinlich aus der "Wir haben das schon immer so gemacht“-Mentalität.

Es erschreckt mich immer wieder, wie sehr Rassismus zur weißen Kultur dazu gehört. Es ist ein Teil ihrer Identität. An einem Wort so zu hängen, obwohl wir sagen, dass es uns zutiefst verletzt, ist für mich einfach unbegreiflich. Als Kind hat mich das nächtelang wachgehalten. Denn selbst wenn man es ihnen erklärt, krallen sich viele so sehr an dem Wort fest. Das ist initialisierter Rassismus. Als weiße Person muss man sich mit dem Problem der Schwarzen nicht auseinandersetzen, weil es sie nicht selbst betrifft. Sie walten und schalten, wie sie wollen, und wir als Schwarze müssen uns dem unterordnen. Unsere Gefühle bei der Nutzung des Wortes spielen keine Rolle. So lässt es sich natürlich leicht leben. Schwarze Menschen werden auch heute noch ausgenutzt, um mit ihnen oder ihrer Kultur Geld zu machen.

Sie sprechen das Thema kulturelle Aneignung an, was genau versteht man darunter?

Weiße Menschen machen mit Dingen Geld, die aus der Kultur der People of Colour kommen. Yoga ist da ein gutes Beispiel, denn es kommt aus Indien, teilweise auch aus der afrikanischen Kultur. Aber wer macht mit Yoga-Camps richtig viel Geld? Weiße Menschen. Das Hauptproblem ist einfach, dass nichts zurückgegeben wird, sie konsumieren uns. People of Colour haben nicht die Chance, den gleichen Erfolg einzufahren wie weiße Menschen, denn ihre Startvoraussetzungen sind einfach andere.

Häufig thematisiert werden auch die Frisuren, wie beispielsweise Dreadlocks. Vor einiger Zeit wurde eine Sängerin bei einer Friday for Future Veranstaltung ausgeladen, weil sie Dreadlocks trug und ihr kulturelle Aneignung vorgeworfen wurde. Warum sollten weiße Menschen die Finger davonlassen?

Weil Schwarze Menschen es nicht einfach können. Das ist unsere Kultur, da steckt sehr viel afroamerikanische Geschichte dahinter. Als Schwarze Menschen entführt und versklavt wurden, wurden ihnen die Haare abrasiert, um ihnen das letzte bisschen Verbundenheit zu sich und ihrer Kultur zu nehmen. Jeder afrikanische Stamm hatte und hat teilweise auch heute noch seine eigenen Frisuren und Flechtmuster, mit denen unter anderem ausgedrückt wurde, ob jemand verheiratet ist, welcher Religion er oder sie angehört oder die Stammeszugehörigkeit.

Wie war das zu späteren Zeitpunkten in der Geschichte?

Später zu Zeiten der Segregation oder umgangssprachlich Rassentrennung versuchten Schwarze Menschen sich möglichst dem weißen Ideal anzupassen – zum Beispiel durch das Glätten der Haare. In dieser Zeit fanden sogenannte Lynchmorde statt, man wollte einfach nicht auffallen und passte sich an [Anm. d. R.: Von 1877-1950 wurden laut Equal Justice Initiative mehr als 4.400 Schwarze Männer, Frauen und Kinder von weißen Mobs gelyncht. Sie wurden erschossen, gehäutet, lebendig verbrannt, erschlagen und aufgeknüpft]. Alles was Schwarz war, war negativ. Man hat versucht, sich dem Feind so anzupassen, dass er einen nicht mehr erkennt.

Das heißt, Schwarze Hairstyles waren nicht gerne gesehen?

Schwarze Hairstyles waren zum einen nicht gerne gesehen und zum anderen in Büros zum Beispiel verboten. Es galt nicht als professionell. Noch heute ist das teilweise so. Ich werde höchstens mal angesprochen mit: Was hast du denn für witzige Zöpfchen? Das ist einfach von oben herab, wie viele Menschen schon einfach in meine Haare gegriffen haben. Und dann kommen weiße Menschen, finden die Frisuren toll, lassen sie sich machen und es passiert: gar nichts. Die meisten werden dann noch dafür gefeiert, siehe Kim Kardashian. Plötzlich fanden das alle cool. Bei Schwarzen Menschen wurde es als asozial betitelt. Dabei sind viele Frisuren sogenannte Protective-Styles, sie dienen dazu, dass unsere Haare nicht abbrechen, dass sie gepflegt sind und einfach wachsen können. Auch hier mussten wir uns unsere Hairstyles aus der Zeit der Versklavung wieder erkämpfen und weiße Menschen nehmen sie einfach wie selbstverständlich an sich.

Das bedeutet, erst, wenn weiße Menschen eure Traditionen aufnehmen, werden sie quasi "gesellschaftstauglich“.

Das ist Rassismus in seiner Reinform. Häufig wird auch argumentiert, dass wir uns ja freuen könnten, dass es jetzt gesellschaftlich so angesehen ist. Aber genau das darf es ja nicht sein, weil das Ziel ist, dass etwas genauso anerkannt wird, wenn es nur von Schwarzen getragen oder praktiziert wird. Es kann nicht erst dann okay sein, wenn weiße Menschen damit Geld verdienen.

Wenn wir jetzt noch einmal zurück zur Petition gehen, wie hat sich das Ganze dann weiterentwickelt?

2020 kamen die Black Lives Matter Demonstrationen und viele dachten sich zu diesem Zeitpunkt: Jetzt muss ich auch was tun. Was ich gut finde. Das Thema Rassismus hat viel Aufmerksamkeit bekommen und wir hatten endlich eine Bühne, wo uns tatsächlich zugehört wurde.

Der Auslöser damals war der Tod von George Floyd. Von dieser Art Übergriffen wird aber noch immer regelmäßig berichtet. Erst vor kurzem wurde der Schwarze junge Mann Jayland Walker mit 60 Schüssen in den USA getötet.

Es hört nicht auf. Es war vor George Floyd und es werden noch Fälle folgen. Deswegen habe ich mich und auch andere Aktivist:innen in der Zeit der Demonstrationen viel mit Aufklärung befasst. Ich habe so viele Interviews gegeben und gemerkt, dass so viele Menschen keine Ahnung haben, was eigentlich hinter dem N-Wort steckt und was das mit Schwarzen Menschen macht. Ich wusste nicht, dass es so an Aufklärung in Deutschland fehlt. Das zieht sich durch alle Schichten. Irgendwann war ich einfach nur noch müde und erschöpft. Die Petition, Black Lives Matter, ich hatte eine Demo organisiert, ich war einfach fertig. Denn der Hintergrund des Ganzen war ja immer noch eine Schwarze Person, die erschossen wurde.

Was macht das mit Ihnen?

Viele verstehen nicht, dass, wenn eine Schwarze Person erschossen wird, dass das so nah an einem dran ist, denn man weiß, das hätte ich sein können, mein Vater, meine Freunde. Ich wusste schon mein Leben lang, dass Schwarze Menschen getötet werden. Ich habe schon so viele Videos gesehen mit so vielen toten Schwarzen Menschen und niemand hat uns zugehört. Ich werde nie das Video von Ahmaud Arbery vergessen. Er war einfach joggen und eine Gruppe weißer Männer entschied, ihn zu töten, weil er Schwarz ist. Sie haben ihn gejagt. Und ich denke nur darüber nach, wie allein er sich gefühlt haben muss, wie hoffnungslos, dass da kein Mensch ist, der dir hilft. Das ist so oft passiert – auch hier in Deutschland. Oury Jalloh, der in seiner Zelle angezündet wurde. Einfach nur, weil du Schwarz bist. Für diese Personen sind wir keine Menschen, sondern einfach ein Etwas, dass man töten und auslöschen kann.

Sie haben aber trotzdem weiter gemacht.

Ich habe einfach funktioniert, weil ich wusste, jetzt haben wir die Aufmerksamkeit, die wir brauchen und da kann ich nicht schlappmachen. Wir haben dann quasi Lobbyarbeit betrieben, mit Politiker:innen gesprochen und zig verschiedene Meinungen diskutiert, wie man das N-Wort-Verbot umsetzen könnte. Dann gab es eine Petitionsübergabe an Mignon Schwenke, die den Ordnungsruf erteilt hatte. Und dann haben wir eine Anfrage an die Rassismusbeauftragte des Bundes, Riem Adoban Adabali, geschickt. Die uns gleich zu sich einlud. 

Was wünschen Sie sich von weißen Menschen?

Ich würde mir wünschen, dass man uns zuhört und uns auch glaubt – denn häufig wird angezweifelt, was wir sagen. Wenn man Menschen ihre Erfahrungen abspricht, dann versucht man das Geschehene runterzuspielen, um sich selbst vielleicht nicht so schlecht zu fühlen. Weiße Menschen sollten sich fragen, warum Schwarze Menschen immer noch diese Erfahrungen machen müssen. Sie sollten sich selber und das System hinterfragen. Und vor allem müssen sie nach Lösungen suchen. Man muss sich einfach informieren und da ist es wichtig nicht zu erwarten, dass Schwarze Menschen immer die kostenlose Bildungsarbeit übernehmen. Es fängt ja häufig schon bei kleinen Kindern an. Ich würde mir wünschen, dass Kinder Diversität als etwas Normales erfahren. Und es muss in übergreifenden Institutionen – Polizei, Gericht, Schule, Universitäten – klar sein, was Rassismus ist und was nicht. 

Zusätzliche Quellen: Zeit.de, nationalgeographic.de bpb.de

Brigitte

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