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"Die Wahrheit über meinen Job": Reaktionen der Erzieherinnen

Heftige Wortwechsel zum Kita-Streik: Nach unserem Artikel zu Beginn des Arbeitskampfes erreichen uns auch jetzt noch die Reaktionen der Erzieherinnen und Eltern. Was Erzieherinnen brauchen: Interview mit Attiya Khan

Heftige Wortwechsel zum Kita-Streik: Nachdem bei uns vier Erzieherinnen zu Beginn des Arbeitskampfes Dampf abgelassen haben ("Die Wahrheit über meinen Job"), beschrieben uns weitere Kolleginnen in Leserbriefen ihren schweren Alltag. Dabei ging es auch um massive Vorwürfe gegen die Eltern. Gleichzeitig wird seit Wochen in einem bfriends-Forum debattiert. Viele Mütter sind völlig entnervt von dem Streik, andere fordern Solidarität.

Die Themen, die besonders kontrovers diskutiert werden: 1. Wie hart ist der Job mit Kindern wirklich?2. Wie sollten Erzieherinnen bezahlt werden? 3. Ist der Streik berechtigt oder geht er zu Lasten von Müttern und Kindern?

Wie hart ist der Erzieherinnen-Job wirklich?

"Im Allgemeinen lieben wir unseren Beruf," schreibt eine Erzieherin, die nach mehr als 20 Jahren "schweren Herzens“ ihren Job aufgab. "Aber wir wollen uns nicht weiter benutzen lassen." Und eine 30jährige Kollegin beschreibt den Arbeitsalltag so: "Zwei Erzieherinnen in einer Gruppe mit zehn Kindern im Alter von 0 bis drei Jahren... Das ist praktisch kaum zu leisten. Jedes Kleinkind hat andere Anforderungen und Bedürfnisse... Das eine Kind muss gefüttert werden, während ein anderes die Pampers voll hat und das nächste zum Töpfchen muss oder den ersten Gang zu Toilette machen möchte. Ein anderes lernt gerade Laufen und braucht dabei Halt. Währenddessen soll man noch gleichzeitig die anderen Kinder Frühpädagogisch fördern und noch alles dokumentieren... Dass man überwiegend auf den Knien oder in gebückter Haltung über den Boden kriecht, geht stark auf die Knochen und Gelenke. Kinder ständig auf den Wickeltisch oder in die Bettchen heben, das Sitzen auf 26 cm hohen Stühlen belastet sehr die Wirbelsäule. Dauerbesuche beim Orthopäden und bei der Krankengymnastik gehören inzwischen zum Berufsbild."

Alle Erzieherinnen klagen über den Lärm. Eine Personalrätin fragt deshalb: "Wo bleibt der "Flüsterasphalt" und die Lärmschutzwand in der Kita und warum wird die Akustik zwar im Opernhaus beachtet, nicht aber im Hort? Dies baulichen Maßnahmen, oft schon gefordert, werden aus Kostengründen abgelehnt... Die Folgen der ständigen Geräuschattacke sind: Stress des angegriffenen Nervenkostüms, Hörschäden und Tinnitus, Kopfschmerzen und oft Migräne." Sie behauptet weiter: "Es gibt überhaupt nicht viele Erzieherinnen über 40 Jahre! Die meisten kommen nach einer Elternzeit nicht zurück in diesen stressigen Job, lieber verkaufen sie Brötchen"“

Doch was sollten Erzieherinnen verdienen?

Darüber gehen die Meinungen bei den Eltern auseinander. Eine Userin mit dem Nickname "Schussel" hält ein "Gehalt irgendwo zwischen dem einer Arzthelferin und einer Krankenschwester" für angemessen. "Die beide herzlich wenig verdienen" findet allerdings "kleinenellie" und "Rowellan" schlägt vor: "Bei den Ansprüchen, die heute an Kita-Betreuerinnen bzw Kindergärtnerinnen gestellt werden bezüglich Frühförderung usw. (sollte) Ausbildung und Bezahlung entsprechend der von Grundschul-Lehrkräften sein." Auch die Mutter "rehbrauneAugen" pflichtet bei: "Die wichtigsten Menschen in unserem Leben haben verdient von Erzieher/innen betreut zu werden, die auch verdienen, was sie wert sind. Und das ist nicht die Gehaltsstufe, in der sie sich seit Jahren befinden!" Das kann die Erzieherin "Nonnen", die "seit über 40 Jahren in diesem Bereich tätig ist" nur bestätigen: "Nach meiner Ausbildung 1968 habe ich 500 DM verdient, davon konnte ich gut leben... Vor 29 Jahren bekam ich als Leitung meine Eingruppierung, die sich seit dem nicht verändert hat. Eine Erhöhung bei zusätzlicher Qualifikation – Fehlanzeige." Und Riecola, die seit 25 Jahren als Erzieherin arbeitet und sich ständig weitergebildet hat, schreibt frustriert: "Trotz meines hohen Ausbildungsgrades fühle ich mich als unterstes Glied in der Kette der pädagogischen Fachkräfte... Das spiegelt sich auch in meinem Gehalt wider, das so gering, ist, dass ich als allein erziehende Mutter kaum in der Lage bin, den Lebensunterhalt für mich und meine zwei Kinder zu bestreiten."

Einige Mütter sorgen sich allerdings darum, dass sie mehr bezahlen müssen, wenn Erzieherinnen mehr verdienen. "Bei uns hat die Stadtverwaltung ganz klar gesagt, wenn höhere Gehälter gezahlt werden müssen, wird das auf die Eltern umgelegt. Bei uns kostet ein Hortplatz schon jetzt 261 Euro... Für mich ist das eigentlich schon über der Schmerzgrenze," schreibt beispielsweise Taoline.

Ist der Streik das geeignete Mittel, um diese Forderung durchzusetzen?

Henrietta findet es "eine Frechheit", wie Erzieherinnen ihren Arbeitskampf "auf dem Rücken der Eltern austragen". Eine Userin schimpft: "So steht man als Mutter mal wieder völlig gelackmeiert da." Karlarosita stimmt ihr zu: "Dieser absurde, verantwortungslose Streik gegen kleine Kinder und ihre Eltern muss ein Ende haben." Viele Eltern regen sich auch darüber auf, dass sie nicht einbezogen wurden: "Eine gemeinsame Aktion Eltern/Erzieher hätte ich im Rahmen dieser Streiks gut gefunden," schreibt tarajugina zum Beispiel. Auch, dass die Streiks meist sehr kurzfristig und vage abgekündigt werden, nervt einige: "Mit einem 'eventuell wird am Dienstag gestreikt' ist man als Elternteil echt übel dran," beklagt sich Marilyn74.

Andere halten dagegen. Die Mütter könnten sich ja anschließen oder sich auch selbst spektakuläre Aktionen ausdenken – zum Beispiel mit den Kindern vor das zu Rathaus ziehen. "Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie man hier auf die Erzieherinnen schimpfen kann," kontert Kebmo beispielsweise, "jeder sollte ein Recht auf einen angemessenen Arbeitslohn haben. Ich an eurer Stelle wäre eher auf die Arbeitgeber sauer, die den Streik so lange in Kauf nehmen." Und Antje3 wird richtig wütend: "Ihr wollt alle, dass es reibungslos für wenig Geld funktioniert. Wenn Streik nicht richtig weh tut, nutzt er auch gar nichts. Wenn ihr Eltern wirklich solidarisch wärt, würdet ihr nicht hier motzen auf die bösen Erzieherinnen, die sich mal nicht so anstellen sollen, sondern würdet Eurer Kommune die Hölle heiß machen, dass sie die Arbeitsbedingungen verbessert, damit das streiken ein schnelles Ende findet."

Umstritten ist auch die Rolle der Gewerkschaft ver.di. Geht es wirklich um Gesundheitsschutz, wie behauptet, oder eigentlich nur ums Geld? „Hier werden Arbeitnehmer, die ernst zu nehmende Probleme haben, von einer unehrlichen Gewerkschaft aufs böseste instrumentalisiert," schreibt "aberwenn". Sie hält der Gewerkschaft vor, dass sie 2005 mit Umstellung vom Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) auf den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) für Erzieherinnen einverstanden war. Insofern sei ver.di "maßgeblich mitverantwortlich für das ganze Dilemma." Eine Erzieherin mit dem Nickname "Natural" rechnet vor, dass diese Umstellung "für mich konkret ein Verlust von 800 Euro brutto" bedeutet. Die Gewerkschaft selbst beziffert die Differenz zwischen altem und neuem Tarifvertrag auf 135 000 Euro in einem Berufleben, zitiert "Schimanski" aus einem Bericht. Erzieherin "schuluzu" ist davon überzeugt: "Wären wir und die Kinder eine Bank – hätten wir die richtige Lobby und würden gerettet."

Silke Baumgarten

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