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Judith Holofernes und der "ultimative Reality-Check für den Feminismus"

Judith Holofernes und der "ultimative Reality-Check für den Feminismus"
© Melissa Jundt
Judith Holofernes ist sie mit einem Solo-Album zurück. Ein Gespräch über Ego, Erleuchtung und den ganz normalen Perfektionismus berufstätiger Frauen.

Judith Holofernes im Interview

Seit 2000 gibt es "Wir sind Helden" - die vier Musiker hatten sich an der Hamburger Musikhochschule kennen gelernt. Für die erste Platte "Die Reklamation" gab es 2003 gleich viermal Platin. Mit ihrer kritischen Haltung zu Kommerz und Medien positionierten sich die "Helden" politisch; 2012 erklärten sie, auf unbestimmte Zeit zu pausieren. Judith Holofernes ist mit dem Schlagzeuger Pola Roy verheiratet. "Ein leichtes Schwert" (Four Music) ist ihr Solo-Projekt, die Songs drehen sich um Alltag, Liebe im Babystress, manche sind pure Spaßreime. Das Album klingt ausgelassener als die letzte gemeinsame, eher melancholische "Helden"-Platte 2010.

Es ist der dritte Tag, an dem Judith Holofernes, 37, zurück in der Öffentlichkeit ist. Zwei Tage zuvor war sie auf der Party eines Radiosenders, am Vortag saß sie in Hamburg in der "NDR Talk Show", und heute sitzt sie uns auf dem Bett in einem Hotelzimmer gegenüber - der für das Interview vorgesehene Raum ist belegt. Sie trinkt schwarzen Tee mit Honig und ist guter Dinge. Ihr Mann Pola Roy ist bei den Kindern in Berlin und wird sich, während sie nun ihre Solo-Karriere startet, vor allem um die Familie kümmern.

BRIGITTE: Ihr neues Album klingt leichter und fröhlicher als das letzte der "Helden" - stört es Sie, wenn man Ihre Musik mit der der Band vergleicht?

Judith Holofernes: Nein, das ist ja meine Band. Ich habe kein Bedürfnis, mich da abzugrenzen. Ich bin inzwischen auch froh über die letzten fünf Jahre in der Band, auch wenn ich die auf dem Zahnfleisch absolviert habe.

Unser Schwerpunktthema in diesem Heft sind erschöpfte Familien. Bei Ihnen kam dieser Punkt vor etwa drei Jahren: Ihr Mann Pola und Sie waren in derselben Band, Sie haben Konzerte, Events und Tourneen absolviert, und die zwei kleinen Kinder waren meistens mit dabei. Wie läuft es jetzt?

Gut. Das Hauptproblem ist gelöst, Pola bleibt jetzt ja erst mal zu Hause. Das ist für mich eine große Erleichterung.

War Ihnen immer schon klar, dass Sie einen Mann wollen, der für die Kinder beruflich zurücksteckt?

Sicher nicht bewusst, aber ich bin so gestrickt, dass ich in der Liebe kein Drama suche, sondern Bereicherung und Unterstützung. Das ist, wenn man Familie will, ein gutes Beuteschema.

Weil ja immer noch die Frauen für sich planen müssen, wie sie Job und Kinder unter einen Hut bringen wollen, und die Institutionen da wenig helfen.

Ja. In Berlin ist das Kita-Thema zwar entspannter als anderswo, wir haben eine tolle flexible kleine Kinderladengruppe. Aber trotzdem gab's auch bei mir diese Arrr-Momente. Am Wochenende vor meinem letzten Tag im Studio hatten die Kinder Läuse. Am Montag habe ich das entlauste Kind in die Kita gebracht, da hieß es, wenn du keine U nbedenklichkeitserklärung vom Arzt hast, musst du das Kind wieder mitnehmen. Ich dachte: Das kann nicht wahr sein, mein letzter Studio-Tag! Ich bin dann wutentbrannt zu irgendeinem Arzt gegenüber, der hat mich runtergemacht, aber dann hatte ich das Papier und hab's noch ins Studio geschafft.

Haben solche Erfahrungen Ihre Einstellung zum Feminismus verändert?

Ja. Wenn ich meiner Freundin Aurélie in Frankreich von den Bedingungen hier erzähle, sagt sie, das ist total sexistisch. Wie sollen denn die Frauen unter diesen Umständen irgendwas arbeiten? Auch was man überall noch selbermachen, mitbringen soll: Kastanien sammeln, Kuchen backen - in anderen Ländern gibt es neben der Schule einen Schreibwarenladen, wo es genau die Hefte und Bastelsachen zu kaufen gibt, die die Kinder haben sollen. Ehrlich, wer in diesem Land Mutter wird und dann nicht feministischer wird, als er vorher war, der hat irgendwas nicht mitgekriegt.

Wo muss denn dieser Mütter-Feminismus ansetzen?

Bei der Überforderung, die auch eine Unterforderung ist, körperlich und nervlich. Viele junge Mütter sind grenzwertig depressiv, auch wegen der eigenen Kinder, die man tief liebt, für die man alles tut, aber trotzdem ist es oft langweilig. Ich bin voller Liebe, aber ich möchte nicht den ganzen Tag Spielzeugautos hin- und herschieben. Ich habe ein Hirn!

Ist ein ziemliches Tabu, öffentlich darüber zu reden, dass einen die eigenen Kinder langweilen...

Ja, die Bilder, wie man als Mutter zu sein hat, sind nach wie vor stark. Mir ist es auf einer Tour passiert, als ich im siebten Monat noch Schwangerschaftsübelkeit hatte und gerade vom Klo kam, dass die Leute mir gesagt haben, wie doll ich strahle. Meine Augenringe kamen hinten wieder raus, aber das Bild der strahlenden Mutter musste aufrechterhalten werden. Auch die Hebammen tragen dazu bei: Sie sagen dir, du sollst entspannt sein, und wenn was mit dem Kind nicht stimmt, bist du selbst schuld, weil du nicht entspannt warst. Den Frauen wird alle Verantwortung draufgepackt, wir sollen schön sein, schlau sein, alles mit Humor nehmen, trotzdem viel arbeiten - das ist ein unmögliches Unterfangen, es wird einem mit absoluter Gewalt oktroyiert. Ich habe versucht, mich dagegenzustellen.

Nicht leicht in Ihrer Branche, in der die Medien über jeden Schritt wachen.

Kurz nach der Geburt meines ersten Kindes war ich auf einer Aftershow-Party, ein Journalist fragte, wie ich es geschafft habe, wieder so schlank zu sein. Ich trug ein grünes Zeltkleid. Ich habe ihm gesagt: Komm, wir gehen aufs Klo, ich zeige dir meinen Känguru-Bauch. Den wollte er aber nicht sehen, und natürlich hat er das auch nicht geschrieben. Ich will nicht aussehen wie jemand, dem man sein Kind aus der Nase gezogen hat. Oder wie die Frauen, die einen Kaiserschnitt machen und sich dabei noch die Bauchdecke straffen lassen, und dann wundert man sich über neue Phänomene wie die postnatale Anorexie.

In Frankreich sagen inzwischen viele Mütter, dass sie sich von einer Gesellschaft bevormundet fühlen, die von ihnen erwartet, dass sie sich früh von ihrem Kind trennen.

Es bräuchte wohl hier mehr gesellschaftlichen Druck und dort weniger. Im Grunde müsste man ohnehin auf einer anderen Ebene ansetzen: Wir alle müssen lernen, weniger zu arbeiten. Das müsste gesellschaftlich gewollt sein. Das Beste für eine junge Familie wäre es, wenn beide Elternteile vier, fünf Stunden am Tag arbeiten würden. Dann wären beide Teile nicht depressiv, nicht gelangweilt und nicht überfordert.

Das haben Sie und Ihr Mann auch nicht hingekriegt, obwohl Ihnen kein Arbeitgeber im Nacken saß.

Ja, das steckt tief drin. Bei mir hat das auch viel mit Loyalität zu tun. Mir ist jetzt in der Auszeit klar geworden, dass ich mich einfach schuldig gefühlt habe: Ich dachte, ich gefährde die Band, weil ich mit 30 ein Kind kriege, und dagegen habe ich angearbeitet.

Verantwortung für das Wohl der anderen - auch eine Frauenfalle.

Ja, total. Mein Meditationslehrer hat mal gesagt, dass Frauen sich und ihren Körper zwar besser wahrnehmen können, als Männer das können, aber größere Schwierigkeiten haben, dem die Autorität zu geben. Das beobachte ich bei mir auch: Ich weiß, was sich gut und richtig anfühlt, aber dann kommt der Kopf, der sagt: Na und? Ich habe in der Band durchgehalten, weil ich echt zäh bin, sonst hätte ich fünf Jahre früher aufgehört. Aber ich kenne auch diese weibliche Gefallsucht, es allen rechtzumachen.

Haben Sie den Meditationslehrer noch?

Ja, aber ich meditiere seit der Geburt meines zweiten Kindes nicht mehr regelmäßig. Ich bedauere das sehr, aber ich habe es einfach nicht mehr geschafft. Mit dem ersten Baby haben Pola und ich noch im Tourbus jeden Tag eine dreiviertel Stunde meditiert, wir waren da einfach so tief drin.

"Mit einem unaufgeräumten Geist zu meditieren ist nicht sehr schön"

Judith Holofernes und ihr Mann, Schlagzeuger Pola Roy, 2010. Die beiden haben zwei Kinder, 7 und 4 Jahre alt
Judith Holofernes und ihr Mann, Schlagzeuger Pola Roy, 2010. Die beiden haben zwei Kinder, 7 und 4 Jahre alt
© Imago/T-F-Foto

Und Sie haben in Ihrer Auszeit nicht wieder angefangen?

Ich fasse seit zwei Jahren fast täglich den Entschluss. Aber das ist nicht einfach, wenn der Geist so verwahrlost ist, wie er es nach langer Zeit ohne Übung ist. Mit einem unaufgeräumten Geist zu meditieren ist nicht sehr schön. Wenn ich wieder anfange, wird das ein paar ruckelige Sitzungen auf dem Kissen geben.

Was ist Ihnen an der regelmäßigen Meditation wichtig?

Ich weiß, dass sie der Anker ist, um aus meinem Leben ein gutes Leben zu machen. Aber derzeit fallen mir Sachen leichter, die mit Bewegung zu tun haben. Ich habe beim "Fünf Rhythmen"-Tanzen (ein freies Tanzen, in dem man die Energien verschiedener Lebensphasen ausdrückt, Anm. d. Red.) die Zeit meines Lebens. Das ist ziemlich esoterisch, aber ich habe von Haus aus diese Furchtlosigkeit, was sehr selbstbefreite Leute angeht, mein Vater war jahrelang Sannyasin. Ich gehe jeden Sonntagabend zwei Stunden tanzen, um zehn bin ich wieder zu Hause, das ist perfekt.

"Wir sind Helden" hatten das Image, eine buddhistische Band zu sein; 2007 haben Sie den Dalai Lama getroffen. Warum haben Sie überhaupt öffentlich über Ihren Glauben gesprochen?

Es kam irgendwie raus. Auf unseren Platten kamen buddhistische Themen vor, es ging oft um Identität und Leerheit, und das haben die Leute mit der Zeit gemerkt. Ich fand es schwierig, öffentlich darüber zu reden. Ich hatte Angst, etwas falsch darzustellen. Mein Lehrer sagte, solange du nicht predigst und nur von dir erzählst ist es okay. Dass es öffentlich wurde, hat mir den Buddhismus anfangs ein Stück weggenommen, denn es war mein Hafen. Aber ich habe ihn mir zurückgeholt, ich hab ihn verteidigt.

Ist Erleuchtung Ihr Ziel?

Sie gehört zur Meditation. Ich glaube nicht, dass jeder ein Leben langmeditieren muss bis zur Erleuchtung. Es gibt auch spontane Erleuchtung, Leute, bei denen durch ein Erlebnis, eine Krise die Schale aufgebrochen wird. Aber auch ganz leise Anklänge davon sind schon hochgradig befreiend.

Ist es nicht schwierig, im buddhistischen Sinn an der Auflösung des Egos zu arbeiten, wenn man in einer Branche ist, in der ein großes Ego dazugehört?

Es ist schwieriger, an der Auflösung des Egos zu arbeiten, wenn du kleine Kinder hast. Weil der Buddhismus in letzter Konsequenz eine beunruhigende Seite hat. Wenn du dich mit der Leerheit beschäftigst, kann das Todesängste auslösen, aber wenn du Kinder hast, musst du voll und ganz für sie da sein. Mein Meditationslehrer hat mir geraten, nur über die "Liebende Güte" zu meditieren, aber ich dachte: Das wäre zu einfach. Das konnte ich ja immer gut. Ich habe stattdessen dann ganz aufgehört.

Ist das nicht auch schon wieder eine Frauenfalle: dieser Perfektionismus, sich nicht mit wenig zufriedenzugeben?

Absolut.

Über Judith Holofernes

Judith Holofernes und der "ultimative Reality-Check für den Feminismus"
© Imago/Star-Media

"Wir sind Helden" war die erfolgreichste deutsche Band des letzten Jahrzehnts, und Judith Holofernes war ihre Stimme. Seit 2010 macht die Band Pause – das Tourleben mit zwei kleinen Kindern war Judith Holofernes zu viel geworden. Jetzt ist sie mit einem Solo-Album zurück.

Interview: Meike Dinklage Fotos: Succo Media, Barbiradpicture/Daniel Modjesch, Stephan Bartels, Melissa Jundt BRIGITTE 04/2014

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