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"Meine ElternZEITreise"

In der neuen Kolumnen-Reihe "60 Stimmen" schreiben unsere Leserinnen. In diesem Artikel: Anna Lena Mutter darüber, wie eine Reise durch Thailand in der Elternzeit ihre Beziehung wieder auf Spur gebracht hat.

Anna Lena Mutter, 37 und Fotografin, ist mit ihrem Freund und ihrer neun Monate alten Tochter den ganzen Winter durch Thailand gereist.
Anna Lena Mutter, 37 und Fotografin, ist mit ihrem Freund und ihrer neun Monate alten Tochter den ganzen Winter durch Thailand gereist.
© privat

Geträumt haben wir davon, lange bevor Mia auf der Welt war: Elternzeit und dann ab durch die Mitte! Auf Reisen, nach Asien, Wärme, Strände, Palmen, leckeres Essen, Exotik, einfach nur Zeit haben und genießen, zu dritt. Ich habe immer gesagt: "Was machen die Frauen das kompliziert. Wenn ich mal ein Kind habe, schnalle ich mir den kleinen Purzel um und los geht’s. Weiter wie bisher oder zumindest ganz ähnlich."

Mias Geburt war schwer. Nie hätte ich gedacht, wie schnell sich diese Strapazen verklären würden. Einfach ersetzt durch nie zuvor so intensiv empfundenes Glück über dieses wunderbare, kerngesunde, kleine Wesen. Noch kurz vor der Geburt sagte ich zu einer Freundin: "Also, ich weiß ja nicht, wie ich das finde, wenn da auf einmal ein kleiner Mensch an meiner Brust rumnuckelt...". Und dann war das Stillen, trotz anfänglicher Schmerzen, einfach nur innige Zuneigung zu meiner Tochter.

Als Mia 5 Monate alt war, fing ich wieder an zu arbeiten und mein Freund Felix ging in Elternzeit. Ich hatte auf einmal so viele Aufträge, dass ich nicht wusste, wo mir der Kopf steht. Als freiberufliche Fotografin zu arbeiten war ein Lebenstraum, der in Erfüllung gegangen war. Doch zugleich war da noch dieser andere, quäkende, windelfüllende Lebenstraum, zu dem ich mich so hingezogen fühlte. So sehr, dass Felix mich manchmal fragte, ob ich eigentlich noch daran denke, auch einen Partner zu haben. Ja, einen Partner in Elternzeit, der seine Aufgaben nicht richtig erfüllt und Elternzeit mit Freizeit verwechselt, warf ich ihm vor. Schwups, rausgepurzelt aus der rosa Wolke, ein harter Aufprall. Da waren die Schwierigkeiten, von denen alle immer redeten: Man müsse sich als Paar neu definieren und wieder finden, nachdem ein Kind geboren ist... Wir saßen beim Krisengespräch, das dieses Mal wenigstens nicht nur in Vorwürfen endete und fragten uns: was ist denn jetzt eigentlich mit unserer Reise? Wir wollten doch im Winter los... Da war es September und Winter hörte sich noch immer weit weg an. Bis November – in Hamburg eindeutig Winter – waren es aber nur noch 8 Wochen. So gesehen fing der Winter also gefühlt schon morgen an.

Wir begannen zu organisieren. Pässe, Impfungen, Auslandskrankenversicherung, Flüge. Und waren uns trotzdem nicht sicher: Wohin wird die Reise gehen?

Immer wieder stellte einer von uns das ganze Projekt in Frage und damit auch unsere Beziehung. Ich fragte mich: Warum sind wir gerade jetzt kein Team? Warum stützen wir uns nicht gegenseitig und freuen uns über unsere Familie und die Möglichkeit, uns auch diesen Traum gemeinsam erfüllen zu können?

Ja, das war’s, "gemeinsam" gab es gerade irgendwie nicht. Ich hatte auf einmal nur Angst. Davor, dass wir es nicht schaffen, davor, allein mit Baby irgendwo in Asien zu stehen, davor, unser geliebtes Mädchen könnte schwer krank werden und ich bin schuld, weil ich es mit auf diese Reise "geschleift" habe. Und das Gepäck, wie soll das denn gehen, man braucht doch so viel Kram für ein Baby? Wo war die Leichtigkeit geblieben? Wo versteckte sich die Anna, die sich "ihren kleinen Purzel einfach umschnallen" und los ziehen wollte? Auch deshalb wollten wir auf Reisen gehen: um uns wieder zu finden. Jeder zu sich selbst und wir zu einander. Eine Alternative gab es nicht. Denn der Gedanke, alles abzublasen, war noch bedrückender. Mitte November saßen wir im Flugzeug nach Bangkok, der Rückflug war auf Mitte Februar datiert. Mein gedanklicher Rettungsanker: jederzeit umbuchbare Tickets. Wenn’s nicht geht, können wir nach Hause. Die Atmosphäre zwischen uns war angespannt, ein Flug ins Ungewisse. Ankunft in Bangkok, nach 20 Stunden. Jetlag, 25 Grad Temperaturunterschied, Kulturschock, erst mal orientieren. Und dann schlafen. Natürlich waren die ersten Tage unserer Reise holprig. Alles andere wäre geschwindelt. Aber die Sonne, der Tapetenwechsel, die vielen fremden Gerüche und Eindrücke, all das hat uns abgelenkt von den Streitigkeiten des Alltags. Die erste Woche hatte ich allein von Zuhause geplant. Danach fingen wir an, unsere Reise gemeinsam zu gestalten. Drei Monate Zeit – es schien uns wie eine Ewigkeit!

Am Strand in Laos
Am Strand in Laos
© privat

Wir wollten erstmal an den Strand, runterkommen, entspannen auf den Inseln in Südthailand. "Wie viele Nächte wollt Ihr bleiben?" Bis uns langweilig wird, dachten wir, lächelten uns an und mieteten die gemütliche Strandhütte erst mal für fünf Tage. Wann hatten wir zuletzt soviel Freiheit? Mia krabbelte nackt und vor Freude juchzend über den warmen Sand. Felix lag in der Hängematte und las. Ich war einfach nur froh zu spüren, wie die Anspannung von mir abfiel. ??

Nach einigen Wochen Insel-Hopping hatten wir genügend Energie getankt und wir machten uns auf, das Land zu entdecken.

Felix und ich waren wieder zusammengerückt. Wir konnten wieder gemeinsam lachen, teilten die Freude über unser kleines Mädchen und unsere große Reise. Wir wurden wieder zu einem Team. Wir machten gegenseitig Vorschläge wohin es als nächstes gehen könnte, wurden uns schnell einig und organisierten gemeinsam. Mia steckte lange Busfahrten, das schwül-heiße Klima, den Nachtzug, thailändische Windeln, häufig wechselnde Unterkünfte mit einem süßen Kinderlächeln weg.

So fühlten wir uns sicher genug miteinander, nun auch das abenteuerlichere Nachbarland Laos zu bereisen. Dort wurde der Weg zum Ziel. Denn in 8 Stunden Busfahrt über staubige Buckelpiste, die sich dort so etwas wie "Bundesstraße" nannte, legten wir nun maximal 150 Kilometer zurück. Unterwegs mussten Reifen gewechselt oder Einkäufe getätigt werden, und zum Pinkeln verteilte sich die gesamte Busbesatzung in die Büsche. Die Frauen an der einen Seite der Straße, die Männer an der anderen.

Wo immer es möglich war, legten wir Wegstrecke per Boot auf dem Mekong zurück. Ganz im Süden des Landes, wo der Fluss bis zu 14 Kilometer breit wird und sich eine weitläufige Insellandschaft erstreckt, erholten wir uns von der erlebnisreichen Reise der vergangenen Wochen. Mia spielte mit den einheimischen Kindern am Ufer und fing an zu laufen. Gutmütige Wasserbüffel zogen gemächlich vor unserer Hütte vorbei. Wir fühlten uns wie im Paradies.

Das Datum unserer Rückreise war Mias erster Geburtstag. Immer wieder sahen wir während der 24 Stunden, die wir unterwegs waren, auf die Uhr und dachten daran, was jetzt vor genau einem Jahr gerade passiert war: Nun setzen so langsam die Wehen ein, wir fahren in die Klinik, Entspannung in der Badewanne eines freundlich eingerichteten Kreißsaals, die Geburt stagniert, mir geht die Kraft aus, PDA, Wehentropf, pressen, pressen, pressen... und dann ist sie da. Endlich. Unsere Mia. ??

Meine Gedanken fließen weiter. Wie ein Film zieht das heute vergangene Jahr an meinem inneren Auge vorüber. Ich bin glücklich und stolz auf uns, am Ende dieser aufregenden "Eltern-Zeitreise". Unser Plan war aufgegangen. Wir kamen zurück als fröhliche kleine Familie, fit für den neuen Alltag zu dritt.

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