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Fränzi Kühne: Die einzige Aufsichtsrätin, die Fan-Post bekommt

Fränzi Kühne: Die einzige Aufsichtsrätin, die Fan-Post bekommt
© Kim Kiebel
Fränzi Kühne ist 35 und eine Ikone für junge Frauen, die Karriere machen wollen: Sie ist eine der unkonventionellsten Aufsichtsrätinnen Deutschlands - und wahrscheinlich die einzige, die Fanpost bekommt.

BRIGITTE Academy: Seit 2017 gelten Sie als jüngste Aufsichtsrätin Deutschlands. Es gibt noch eine jüngere Kollegin, allerdings in einem nicht-börsennotierten Unternehmen. Kennen Sie sich?

FRÄNZI KÜHNE: Nein, ich hatte das auch gar nicht auf dem Schirm. Es freut mich sehr, dass jetzt andere junge Frauen nachkommen und dass sich der Status quo ändert. Mein Ziel bleibt, eine Vorbildfunktion für eine Kehrtwende in Aufsichtsräten einzunehmen.

Was muss sich denn ändern?

Der Selektionsprozess, wie Aufsichtsräte ernannt werden und vor allem nach welchen Kriterien und Kompetenzen. Es gibt Untersuchungen dazu, dass immer wieder weißhaarige Männer um die 45 mit BWL-Hintergrund für diese Positionen gesucht werden. In Deutschland gibt es auf Vorstandsebene tatsächlich mehr Männer, die Thomas oder Michael heißen, als Frauen insgesamt. Das ist nicht zeitgemäß, denn wir kennen die Studienergebnisse, dass divers aufgestellte Teams erfolgreicher sind. Diesen Kreislauf zu durchbrechen ist wichtiger denn je, und das muss schneller passieren. 

Sie haben diesen Kreislauf durchbrochen: jung, weiblich, keine BWL-Karriere.
Sie haben Jura studiert, dann abgebrochen und über Ihr Start-up auf sich aufmerksam gemacht. Wie hat der Aufsichtsrat von Freenet auf Sie reagiert?

Die Freenet AG hat mich wegen meiner Digitalkompetenz geholt. Inhaltlich konnten wir gleich in die Themen einsteigen. Ich finde es nur ein bisschen komisch, dass ich von Anfang an geduzt wurde, im Gegensatz zu den anderen Aufsichtsräten. Als ich mich den Aktionären letztes Jahr vorgestellt habe, kam einer auf die Bühne und sagte "Ach Fränzi, du bist für uns schon gesetzt." Und ich dachte nur "Krass, der ist über 60 – warum duzt der mich gerade, obwohl wir uns noch nie gesprochen haben?" Ich sehe das aber nicht als Angriff. Ich muss zugeben: Mein Gründungspartner Christoph wird auch oft geduzt. Der trägt immer Flip Flops und eigenartige Karohemden und dann heißt es: "Erscheinst du so beim Lufthansa-Vorstand?" Da ist er auch einfach "der Christoph".

Und Sie tragen Sidecut, Piercings und "Chucks". Das ist schon selten auf solchen Versammlungen.

Ich verstehe nicht, warum das immer noch Thema ist. Auch nach einem Jahr kommt regelmäßig die Frage: "Was ziehen Sie zu den Aufsichtsratssitzungen an?" Und auf drei Veranstaltungen in den letzten Wochen kamen Männer zu mir und entschuldigten sich dafür, dass sie einen Anzug tragen. Das ist doch verkehrte Welt! Ich sehe nicht aus wie eine 50-Jährige mit Perlenohrringen, die man sich vielleicht vorstellt. Aber ich finde schade, dass ich deswegen im Fokus stehe. Es geht doch um die Inhalte!

Dann sagen Sie mal: Womit beschäftigen Sie sich denn als Aufsichtsrätin?

Ich berate den Vorstand bei allen Fragen rund ums Digitale. Zum Beispiel, was für oder gegen Zukunftsmärkte wie Sensorik oder das autonome Fahren spricht. Vorher musste ich mich erst mal eine ganze Weile in die Struktur von so einem Konzern einarbeiten. Die klassische Variante ist: Man spricht mit dem Vorstand und dem Aufsichtsrat und ermittelt so die Themen, die das Unternehmen umtreiben. Das hat mir aber nicht gereicht. Deshalb bin ich zu den verschiedenen Firmenstandorten gefahren, habe mir dort die Logistik angeschaut, mich mit der Personalabteilung zusammengesetzt und Workshops mit den Trainees besucht. So war ich ganz nah dran und konnte vor Ort mitbekommen, woran es gerade hakt. Es war total spannend für mich, zu lernen, wie große Unternehmen geleitet und beaufsichtigt werden, und wie ich in diese Position hineinwachsen kann.

Was war das Schwierigste daran?

Als der Anruf kam, ob ich mir vorstellen kann, in den Aufsichtsrat zu gehen, war mir klar: Dafür muss ich meine Komfortzone extrem verlassen. Ich war nie der Typ, der sich wohlgefühlt hat, vor Leuten zu sprechen und an Podiumsdiskussionen teilzunehmen. Aber so ein Angebot kann man einfach nicht ausschlagen. Und ab da habe ich alles angenommen: Interviews, Paneldiskussionen, Vorträge. Meine Lernkurve ging steil nach oben, aber es war auch eine große Herausforderung. Ich habe nie in einem Konzern gearbeitet und wusste weder um die Strukturen, noch was meine Rolle sein würde. Nach einem Jahr Aufsichtsrat bin ich angekommen und kenne mich mit Formalitäten und Gesetzen aus. Mir fällt es allerdings immer noch schwer, nur zu beraten und die Kontrollfunktion auszuüben, statt vor Ort selbst einzugreifen.

Sie sind zuvor schon ins kalte Wasser gesprungen: Sie haben das Studium geschmissen und eine Firma gegründet. Sind Sie ein mutiger Mensch?

Ich lasse mich gern von meinen Leidenschaften treiben. Mein Jurastudium habe ich angefangen, weil ich die Krimi-Romane von John Grisham liebe und beim "Tatort"-Gucken immer als Erste den Täter erraten habe. Wie man mit Anfang 20 so denkt. Aber genau mit so einem idealistischen Antrieb haben wir 2008 unsere Digitalagentur TLGG gegründet. Wir waren wahnsinnig begeistert von digitalen Themen und dachten uns, vielleicht können wir Geld verdienen, wenn wir Marken den sinnvollen Umgang mit Social Media und Co. erklären. Spielen wir ein bisschen Agentur, dachte ich. Wenn es nichts wird, studiere ich eben weiter Jura. Das alles wäre nicht ohne einen gewissen Grundoptimismus gegangen. Den habe ich von meinen Eltern: Sie haben mich immer machen lassen und an mich geglaubt. Nur das Abi war Pflicht.

Sie sind nicht nur Aufsichtsrätin und Gründerin, sondern auch Mutter einer Zweijährigen.

Bevor ich schwanger wurde, haben mein Freund und ich abgesprochen, wie wir uns die Verantwortlichkeiten aufteilen und was unsere Prioritäten sind. Mein zweites Baby ist meine Agentur, und da er selbstständig arbeitet, lag in den ersten anderthalb Jahren viel Verantwortung bei ihm. Zwei Wochen nach der Geburt war ich punktuell wieder im Büro, nach drei Monaten dann in Vollzeit. Manchmal habe ich die Kleine mitgenommen, meistens aber war mein Freund mit ihr zusammen. Wenn ich abends wiederkam, waren seine Projekte dran. Das war wie Schichtarbeit. Nach einer Weile war ihm das zu wenig und wir sind nun in der glücklichen Lage, uns eine Nanny leisten zu können. Ein Privileg, das wissen wir, und vor Alleinerziehenden habe ich enormen Respekt. Bei der Arbeit im Aufsichtsrat denke ich oft an meine Tochter: Ich will nicht, dass sie später die gleichen Probleme in Unternehmen hat, mit denen junge Frauen heutzutage kämpfen. Wann hören die Leute auf, Mitarbeiterinnen zu diskriminieren und ihnen nichts zuzutrauen? Ich will sie wachrütteln.


Sie kommentieren Ihre Arbeit in sozialen Netzwerken wie Instagram und lassen manchmal richtig Dampf ab. Was ist Ihre Botschaft?

Manchmal möchte ich nur Anteilnahme, wenn mein Flieger Verspätung hat. Denn allein im Job zu reisen, finde ich furchtbar. Ich hätte allerdings nie damit gerechnet, Fanpost von jungen Frauen zu bekommen, wenn ich was von meiner Arbeit zeige. Das ist total schön, denn ich will zeigen: Man kann Dinge verändern, wenn man jung ist. Und für eine Führungsposition muss man nicht erst 50 werden. 

Brigitte 08/2018

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