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Emotionen im Job Muss Frau immer stark sein?

Emotionen im Job: Frau sitzt frustriert vor Laptop
© fizkes / Shutterstock
Frauen gelten im Job schnell mal als "zu emotional". Und werden deshalb weniger ernst genommen. Aber stimmt das wirklich? Und wenn ja, sollten sich dann die Frauen ändern – oder die Arbeitswelt? Professorin und Coach Babette Brinkmann über geeignete Strategien.

Der Projektleiter eines internationalen Konsortiums erzählt mir von seiner Idee. "Babette, ich werde in die Arbeitsverträge schreiben lassen, dass Frauen nicht weinen dürfen am Arbeitsplatz, vor allem nicht im Mitarbeitergespräch. Weinen müssen sie woanders, sonst kann kein Mensch arbeiten!"

Emotionalität gilt als privat und nicht arbeitsweltkonform

Das Anliegen ist absurd und rechtlich nicht möglich, aber der Wunsch und die Not, die Sebastian S. hier ausdrückt, sind real und häufig anzutreffen. Sebastian, Ende 30, leitet in jungen Jahren ein riesiges Staudammprojekt in Afrika, ihm unterstehen mehrere Hundert Mitarbeiter*innen aus fünf Ländern, aber wenn eine Frau weint, "dann weiß ich einfach nicht mehr, was ich sagen kann." Risiken, finanzielle und technische Herausforderungen sind nichts im Vergleich zu der Not, in die Sebastian gerät, wenn Mitarbeiterinnen deutlich emotional werden.

Ich habe dieses Beispiel schon oft erzählt und viele Lacher bekommen. Doch die ernste und ärgerliche Wahrheit lautet: Der Grat des emotionalen Ausdrucks, der von Frauen im Job erwartet wird, ist super schmal. Frauen gelten als emotional, und Emotionalität als privat und nicht arbeitsweltkonform. Weinen, von Begeisterung gepackt sein, Rührung, aufgeregte Vorfreude ... all das führt dazu, dass eine Frau im Job weniger ernst genommen wird und für Führung oder Beförderung nicht mehr in Betracht kommt. Der Gedanke "typisch Frau" ist nach wie vor eisern gekettet an "nicht kompatibel mit Macht und Einfluss".

Männer halten sich nicht nur selbst für sachlich, sondern sie haben diese Art von Sachlichkeit auch gleich noch zum allgemein akzeptierten Standard gemacht. Ihre – natürlich durchaus vorhandene! – Emotionalität schadet ihnen deutlich weniger. Und das, obwohl sie sich dafür eine weder sympathische noch für das Business besonders nützliche Nische erschaffen haben: Emotionen wie Aggression, Wut oder Freude an der Macht gelten als so eindeutig männlich, dass sie in Unternehmen und Öffentlichkeit akzeptiert sind – zwar kritisiert, aber akzeptiert. Immer wieder kann man über Manager, Künstler, Trainer und andere Männer des öffentlichen Lebens hören, der sei "bekanntlich ein ziemlicher Tyrann" – das steht aber in keinem grundsätzlichen Widerspruch zu Macht und Erfolg.

Sachlichkeit statt Emotionalität

Auch diese Nische gibt es für Frauen nicht. Aggression gilt bei Frauen nach wie vor als kaum entschuldbar und unweiblich. Eine aggressive Sprache prägte den Stil von Altbundeskanzler Gerhard Schröder. Ein vergleichbarer Ton wurde SPD-Chefin Andrea Nahles zum Verhängnis. In ein und demselben Unternehmen und durch die Augen ein und derselben Person kann einer Frau ein emotionaler Auftritt angekreidet werden und ein Kollege von einem emotionalen Auftritt profitieren.

Anderes Beispiel aus meiner Beratung: Der Inhaber eines mittelständischen Unternehmens, Matthias, möchte sich aus der operativen Geschäftsführung zurückziehen. Gemeinsam entwickeln wir den Weg zum Ziel. Als seine Nachfolgerin in der Geschäftsführung hatte er sich für die Leiterin der Rechtsabteilung, Clara, entschieden. Sie sollte in der Geschäftsführung für die Bereiche Personal, IT und Finanzen zuständig werden. Doch bei unserem nächsten Treffen werde ich von Neuigkeiten überrascht. Nicht Clara, sondern ein dem Haus seit Langem verbundener Berater wurde ernannt. Ein Mann, der als Finanzexperte Anerkennung genießt, sein Stil ist allerdings durchaus umstritten.

Was war geschehen? Matthias begründete mir seine Entscheidung: "Clara wäre sicherlich auch sehr gut geeignet und ist im Hause gut vernetzt. Aber am Ende dachten wir (die Inhaberfamilie), dass sie einfach zu emotional sei. Es gab wieder so eine Sitzung, da verbiss sie sich in ihre Ideen, und wenn sie die Begeisterung packt, dann gehen schon mal die Emotionen mit ihr durch, sie wird laut und aufgeregt und findet das Ende nicht. Da passt dann die Sachlichkeit nicht mehr."

Frauen werden nach Emotionen bewertet, Männer nicht

Aha, denke ich und sage: "Die Frau war euch plötzlich zu emotional und wird ersetzt durch einen Mann, der bekannt ist für seinen schroffen und oft auch herrisch lauten Ton? Du weißt schon, dass Wut, Gereiztheit etc. auch Emotionen sind?" – "Ja, schon, aber es ist dann doch etwas anderes, oder?" Matthias schaut mich an. Mir scheint, das "etwas andere" ist die Emotionalität der Frau im Vergleich zur Emotionalität des Mannes. Der einen steht sie im Weg, dem anderen nicht.

Ich war Zeugin geworden eines Phänomens, das zahlreiche Studien gut illustrieren. So werteten Kathryn Heath und Jill Flinn von der University of North Carolina 2017 mehr als tausend Feedback-Protokolle weiblicher und männlicher Führungskräfte aus und konnten zweierlei zeigen.

Erstens: Frauen werden danach bewertet, wie sie mit Emotionen umgehen, Männer nicht. Mehr als die Hälfte aller Beurteilungen der Frauen enthielten Einlassungen dazu, WIE freundlich zugewandt, warm, hart im Ton oder abweisend sie etwas tun, während das Feedback für die männlichen Führungskräfte sich darauf bezog, WAS sie tun. Dieser Unterschied ist schon ärgerlich genug. Denn wir lernen ja alle – und das gilt im Beruf besonders – es kommt darauf an, WAS man tut. Wirklich verhängnisvoll wird dieses Muster in Verbindung mit dem zweiten Ergebnis:

Zweitens: Ein emotionales Auftreten (unabhängig von der Art der Emotion) lässt Frauen im Job weniger glaubwürdig und weniger überzeugend erscheinen. Es reicht schon, dass eine Frau als "emotionaler als Männer" wahrgenommen wird, um negativ beurteilt zu werden.

Typisch Frau, typisch Mann

Das ist schon ein starkes Stück: Erst starren wir (Frauen übrigens genauso wie Männer) bei weiblichen Führungskräften auf jede emotionale Regung wie das Kaninchen auf die Schlange, und wenn wir emotionales Verhalten entdecken, sagen wir: "Wusste ich es doch, typisch, viel zu emotional."

Eine Änderung ist unglaublicher Weise nicht in Sicht. Die Stereotype darüber, was typisch männlich und typisch weiblich ist, und vor allem, was eine tolle Frau oder einen tollen Mann ausmacht, scheinen immun zu sein gegen Digitalisierung, Globalisierung, Modernisierung und Aufklärung. Forschungsergebnisse der jüngsten 30 Jahre zeichnen immer wieder das gleiche Bild: Eine tolle Frau ist herzlich, vertrauenserweckend, sozial kompetent, kommunikativ, offen und einfühlsam. Ein toller Mann ist sympathisch, durchsetzungsstark, direkt, aktiv und selbstbewusst.

Dreimal dürfen Sie raten, welche Eigenschaften häufiger aufgezählt werden, wenn man Menschen nach der idealen Führungskraft fragt. Richtig, es sind die Eigenschaften des "tollen Mannes". Da wir aber im Job als Person und als Expert*in überzeugen müssen, stehen Frauen hier vor einer Herausforderung, vor der Männer nicht stehen.

Bitte lächeln!

Frauen müssen zwei unterschiedliche und durchaus widersprüchliche Bilder unter einen Hut bringen, um als Frau und Führungskraft positiv und kompetent wahrgenommen zu werden. Große Emotion wird hier sehr schnell zum Verhängnis, sie gilt als zu weiblich, zu weich, zu privat.

Aber umgekehrt führt auch ein kraftvolles, forderndes Auftreten zu Irritationen: "Haare auf den Zähnen", "Gouvernante", "Diva", "kompliziert" sind Zuschreibungen, für die es kaum männliche Entsprechung gibt. Die Erwartung an Frauen hat sich seit 70 Jahren kaum geändert. Freundlich soll "sie" sein, kommunikativ, ausgleichend, keinesfalls kompliziert oder hysterisch.

Und lächeln soll sie! Sie sei doch "eine fröhliche Frau, eine freundliche Frau", sagte RBB-Moderator Jörg Thadeusz vor ein paar Wochen verständnislos zu seinem Talkshowgast Professorin Dr. Maja Göpel. Diese ist promovierte Politökonomin und Transformationsforscherin und hat einen viel diskutierten Bestseller geschrieben ("Unsere Welt neu denken: Eine Einladung"). Aber hallo: "Warum gucken Sie auf dem Cover so ernst?", fragte er sie. Da fühle er sich "nicht geworben".

Macht macht Frauen verdächtig

Ein schönes Beispiel für die "warmthcompetency theory": Wenn wir uns klar darüber werden, wie wir jemanden "finden", treffen wir über diese Person gleichzeitig zwei Urteile. Wie warm/herzlich finde ich diesen Menschen, und wie kompetent finde ich ihn oder sie? Im Privatleben gilt das für Männer wie für Frauen. Aber im Job gelten andere Regeln, wie die Management-Professorin Margarita Mayo in einer Studie von 2016 eindrucksvoll zeigte: Frauen werden in der Arbeitswelt nur dann als selbstbewusst und ihrer Sache sicher beurteilt, wenn sie kompetent und warm erscheinen. Männern reicht es, Kompetenz auszustrahlen. Ein Lächeln wird nicht erwartet, also fehlt es auch nicht.

Macht steht Männern "per se" gut. Wenn sie dann noch von der Sache etwas verstehen, sind wir schon zufrieden.

Macht macht Frauen verdächtig. Nur wenn sie lächeln, sich freundlich und zugänglich zeigen, fühlen wir uns im Umgang mit ihnen wohl. Das soll "’ne Genderfrage" sein?, fragt Jörg Thadeusz in besagtem Interview überrascht. Ja, das ist es.

Die Frage lautet nun, wie so oft: Soll sich die Welt ändern oder soll sich die Frau ändern?

Frauen müssen in allen Positionen ein Normalfall sein

Natürlich soll sich die Welt ändern, insbesondere die Arbeitswelt. Und die ändert sich dann, davon bin ich überzeugt, wenn Frauen in allen Positionen ein Normalfall sind. Aber bis zu diesem Normalfall ist noch ein ganzes Stück zu gehen. Und auch wenn enge Vorstellungen Frauen bei der Karriere besonders im Wege stehen: Letztlich tun diese stereotypen Rollenerwartungen weder Männern noch Frauen gut.

Deshalb: Ecken Sie an, wenn Ihnen danach ist, und unterstützen Sie Frauen, die es tun. Wenn Sie eine Frau erleben und denken: "Gute Idee, aber irgendwie peinlich, zu viel, zu laut, zu weinerlich oder zu vulgär", "So kommt sie doch nicht ans Ziel" – dann ist das genau der richtige Moment, den eigenen eingefahrenen Wahrnehmungen auf die Schliche zu kommen. Unterstützen Sie Frauen, die es ganz anders machen als Sie selbst oder anders als die klassischen Rollenerwartungen es vorgeben. Das kann nur zu mehr Freiheiten für uns alle führen.

Sebastian konnte weder die Frauen noch die Arbeitsverträge ändern. Ich habe ihm "Die Farbe Lila" von Alice Walker als Lektüre vorgeschlagen. In diesem Buch sagt die Protagonistin: "Ich kann heulen und einen Sarg hochheben." Und mit diesem Satz im Gepäck gelang es ihm dann ziemlich gut, mit den Frauen, deren Tränen er fürchtete, genau darüber ins Gespräch zu kommen: Wie viel Sarg tragen, wie viel Gespräch, wie viel Auseinandersetzung geht – trotz Tränen.

Auch immer "so emotional"?

Auswege aus dem Dilemma

Die Welt ändern wir nicht an einem Tag. Aber schon heute gibt es Tipps, wie wir unserer Begeisterung oder unserem Zorn so Ausdruck verleihen können, dass sie unterstreichen, was wir zu sagen haben:

  • Generell gilt im Beruf: Emotionen benennen statt sie auszuagieren. ("Das ärgert mich" sagen statt verärgert zu reagieren. "Das finde ich eine Unverschämtheit" wirkt am besten mit einer festen, ruhigen Stimme.)
  • Nutzen Sie Emotionen gezielt und absichtsvoll. Beziehen Sie sich auf die Fakten, die Sie begeistern oder aufregen. Mischen Sie Euphorie oder Empörung mit Zahlen, Argumenten. Wenn die Begeisterung groß ist: Einmal deutlich und stolz sagen, dann zurück zur Sache.
  • Wenn etwas Ungeheuerliches geschehen ist, Sie sehr wütend oder verletzt sind: Nehmen Sie sich Zeit. Reagieren Sie mit Verzögerung. Ein begründetes Schweigen ist keine Zustimmung. ("So wie das hier entschieden wurde, passt das für mich überhaupt nicht. Ich werde das in naher Zukunft noch mal auf die Tagesordnung setzen.") Und wenn Sie sich in Ruhe, vielleicht mit der Beratung einer guten Freundin, Ihre Reaktion zurecht gelegt haben, kommen Sie drauf zurück. Klar und deutlich und ohne Ihre Wut oder Empörung kleinzumachen oder zu leugnen.
  • Kennen Sie Ihre Zuhörer* innen, machen Sie sich mit ihnen und sie mit Ihren Ideen vertraut. Eine stabile Gesprächsgrundlage verträgt mehr Irritation.
  • E-Mails und Briefe Korrektur lesen lassen! Gern von einem Mann, der sich mit Macht(-spielen) auskennt. Mir sind schon fünfseitige zornige Mails auf fünf Zeilen zusammen gestrichen worden – und das war nicht zu meinem Schaden.

Prof. Dr. Babette Brinkmann ist Coach und Professorin für Organisations- und Gruppenpsychologie an der TH Köln. Sie berät Frauen, Männer und Organisationen in Fragen rund um Karrierewege, Kooperation und Führung – und lächelt meistens. Kürzlich sagte ein Kollege zu ihr: "Immer lächelst du, du hast so ein richtiges Business-Frauen-Gesicht." In solchen Momenten ist sie froh zu wissen: "Richtig machen" geht für Frauen sowieso nicht.

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