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Machtspiele im Job Nein, danke!

Machtspiele im Job: Szene im Büro
© fizkes / Shutterstock
Weniger Konkurrenzdruck und Machtspiele, mehr Kooperation und Menschlichkeit – die Gründerinnen Naomi Ryland und Lisa Jaspers fordern eine Revolution der Arbeitswelt.
Sina Teigelkötter

Frau Ryland, Frau Jaspers, wann haben Sie das erste Mal in Ihrem Arbeitsleben gedacht: Irgendwas läuft hier falsch?
NAOMI RYLAND: Als ich für meinen Start-up auf Investorensuche war, bekam ich viele Ratschläge von anderen Unternehmer*innen: Bei der Umsatzprognose unbedingt übertreiben, behaupten, es gebe schon zig andere Investor*innen, und falls kritische Nachfragen kommen: das Blaue vom Himmel lügen. Alle machten das, es funktioniere auch. Aber ich fühlte mich unwohl damit.

Die Gründerszene gilt als schwieriges Terrain für Frauen. Viele Alpha-Tiere...
RYLAND: Das System ist von Männern für Männer gemacht. Aber es gibt sehr erfolgreiche Gründerinnen, die leider noch viel zu wenig bekannt sind.
LISA JASPERS: Interessanterweise sind viele dieser Unternehmerinnen gerade darum so erfolgreich, weil sie mit Regeln und Konventionen brechen.

Einige von ihnen stellen Sie in Ihrem Buch "Starting A Revolution" vor, etwa Ida Tin, die Erfinderin der Menstruations-App Clue, oder Vivienne L'Ecuyer Ming, Tech-Unternehmerin und Expertin für künstliche Intelligenz.
RYLAND: Wir wollten zeigen, dass wir endlich neue Vorbilder brauchen, die den Status quo nicht weiter verfestigen, sondern für eine menschlichere Arbeitswelt stehen. 

Sie haben das Buch zunächst im Selbstverlag veröffentlicht, finanziert durch Crowdfunding. War kein Verlag interessiert?
JASPERS: Das war eine bewusste Entscheidung, um beim Schreiben frei sein zu können und gleichzeitig möglichst viele Ideen anderer, der "Crowd" eben, mit einfließen zu lassen. Auf der Frankfurter Buchmesse haben wir unser "Manifest" dann vor einem Jahr einigen Verlagsmenschen in die Hand gedrückt.

Wie haben sie reagiert?
RYLAND: Alle Frauen haben uns mehr oder weniger sofort gesagt, sie würden das Buch verlegen. Alle Männer waren "nicht interessiert".
JASPERS: Komisch, dass heute etwa ein Drittel der Käufer Männer sind...
RYLAND: Wir richten uns natürlich weder an Frauen noch an Männer, sondern an Menschen. Und viele von denen haben gerade das Gefühl, dass unser Wirtschaftssystem, unsere Arbeitswelt für sie nicht mehr gut funktioniert. Viele sind in ihrem Job unglücklich, weil sie keinen Sinn darin sehen.
JASPERS: Frauen merken aber oftmals schneller: Irgendetwas fühlt sich hier komisch an. 

Warum fällt ihnen das früher auf?
JASPERS: Weil sie diese Alphatier-Kultur nicht so mitgeprägt haben. Sie fühlen sich schneller ab- und ausgestoßen. Wir wollten ihnen zeigen: Ihr seid nicht falsch, und schon gar nicht allein. Doch es gibt da noch etwas anderes.
RYLAND: Spätestens durch die Corona-Krise wurde das ja auch sichtbar. Führungskräfte, die Homeoffice bis dahin strikt abgelehnt haben, schwärmten plötzlich, wie schön und durchaus produktiv es sei, von zu Hause aus zu arbeiten - weil sie ihre Kinder und Partner*innen auch mal sahen, statt ihre Zeit auf Flughäfen zu verbringen.
JASPERS: Wir haben das Buch vor der Krise geschrieben, aber nun fühlt es sich so an, als sei es genau der richtige Zeitpunkt, diese Fragen zu stellen.

Warum haben wir vor Gefühlen im Job so viel Angst?


Dann stellen wir mal ein paar davon.
JASPERS: Warum messen Unternehmen ihren Erfolg nur am Wachstum und nicht auch an der Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter*innen? Laut einer von Google durchgeführten Studie erzielen Menschen, die in "psychologischer" Sicherheit arbeiten, sich in ihrem Team wohlfühlen, mehr Umsatz und werden als doppelt so produktiv eingeschätzt.
Warum legen nicht alle Unternehmen, unabhängig von ihrer Position, die Unternehmensziele fest? Warum machen das nur die Chefs von oben herab? Weiß nicht jeder selbst am besten, was er leisten kann?
Warum haben so viele Angst vor Gefühlen im Job? Emotion heißt doch auch: Ich bin involviert, engagiert und habe Energie, will etwas verändern. Diese Trennung zwischen "Privat-Ich" und "Job-Ich" ist künstlich und tut uns nicht gut.

Und wenn wir noch mal auf die Start-up-Szene schauen: Was muss sich ändern?
JASPERS: In dieser Welt gibt es ein sehr enges Verständnis von Unternehmertum. Über allem schwebt der "Unicorn"-Gedanke: so schnell wie möglich so groß wie möglich zu werden, ein "Einhorn", ein milliardenschwer bewertetes Start-up. Ob das auf Kosten der Umwelt, der Beschäftigten oder der eigenen Gesundheit geht, ist nachrangig.
RYLAND: Wer nicht in dieses Konzept passt, findet niemanden, der in sie investiert und sie fördert. Aber zum Glück gibt es auch die "Zebra-Bewegung".

Was ist das?
RYLAND: Eine Initiative von vier amerikanischen Unternehmerinnen, die sich statt Einhörnern Zebras zum Vorbild genommen haben. Im Gegensatz zu denen existieren Zebras nämlich tatsächlich, sie sind "real". Außerdem sind sie Herdentiere, konkurrieren nicht, sondern kooperieren. Natürlich wollen auch sie mit ihren Unternehmen wachsen, aber nicht exponentiell, sondern organisch und nachhaltig. Sie möchten nicht nur Wert schaffen für diejenigen, die gründen und investieren, sondern für die Gesellschaft. Langsam kommt diese Bewegung auch in Deutschland an. Wir beide verstehen uns auf jeden Fall ganz klar als "Zebras".

Was braucht es, um die Herde hier zu vergrößern?
JASPERS: Investor*innen, die dieses Konzept verstehen. Fast alle Fonds funktionieren heute nach dem Gesetz des Stärkeren: Von vornherein ist klar, dass nur eines von zehn Unternehmen überlebt. Hauptsache, es überstrahlt alle anderen. Diese Wegwerf-Kultur ist doch Wahnsinn! Wir werden sie sicher nicht von heute auf morgen abschaffen, aber wir können sie zumindest ergänzen.

Womit?
RYLAND: Mit anderen Finanzierungsmodellen wie Gründergenossenschaften oder Crowdfunding und mit neuen Förderlogiken wie dem "Revenue based financing": Wer investiert, erhält in diesem Modell keine Anteile, zumindest nicht für immer, stattdessen wird die Finanzierung über Jahre zurückbezahlt als Prozentsatz vom Umsatz. Das nimmt den Druck.

Immer mehr Menschen, die gründen, entscheiden sich bewusst gegen Investor*innen, um so lange wie möglich unabhängig zu blieben.
JASPERS: Da ist auch der Staat gefragt, Kapital, das eben kein "Risikokapital" ist, zur Verfügung zu stellen. Im Moment können es sich eigentlich nur Menschen leisten zu gründen, die ein gewisses Back- up haben, etwa Ersparnisse, ein Erbe, eine Familie, die sie unterstützt. Das bedeutet aber auch, dass viele ausgeschlossen sind, weil die Hürden sehr hoch sind.

Aber es gibt doch sehr wohl Förderprogramme für Start-ups.
RYLAND: Die richten sich aber immer an sehr schmale Gruppen, etwa an reine Technologie-Start-ups. Wie wäre es denn, Unternehmen, die sich sozialen, gesellschaftspolitischen Zielen verpflichtet sehen, Darlehen mit geringen Zinsen zur Verfügung zu stellen?
JASPERS: Das würde allen zugutekommen: Durch unsere sehr homogene Start-up-Kultur gibt es viel weniger innovative Produkte, als es geben könnte. Ich zumindest denke oft: Wenn Wäschefirmen mehrheitlich von Frauen gegründet worden wären, müsste ich meinen BH nicht immer noch umständlich hinten schließen. Und natürlich geht es nicht nur um sogenannte "Frauenthemen" wie Schwangerschaft, Menstruation oder unpraktische BHs, sondern zum Beispiel auch um Ideen, wie wir mit dem Klimawandel umgehen. Um die zu entwickeln, braucht es diverse Teams.

Der "Female Founders Monitor" vermeldete jüngst: Gerade mal knapp 16 Prozent aller Gründenden in Deutschland sind weiblich. Die Szene bleibt ein Boys Club. Warum dauert es so lange, bis sich die Verhältnisse ändern?
JASPERS: 
Auch ich falle noch oft in alte Denkmuster zurück: Wenn ich mich dabei ertappe, dass ich meinen eigenen Wert daran messe, wie viel Umsatz mein Unternehmen gerade macht, oder Druck ungefiltert an mein Team weitergebe, muss ich mich jedes Mal neu erinnern: Was mache ich hier eigentlich? Das wollte ich doch nicht mehr!
RYLAND: Ja, es ist zäh, und das gilt nicht nur für die Gründerszene, sondern für unsere Arbeitswelt im Ganzen. Aber meine Hoffnung ist, dass sich die Menschen, wenn sie "nach Corona" in ihre Büros zurückkommen, mit dem Gefühl konfrontieren, das sie dabei spüren. Schon jetzt zeigen Befragungen, dass ein Großteil am liebsten gar nicht zurückkehren würde, und zwar nicht nur wegen der möglichen Ansteckungsgefahr.
JASPERS:  Ich wünsche mir, dass sie überlegen, woher ihr Unwohlsein kommt. Dass sie zu ihren Vorgesetzten gehen und sagen: Lasst uns doch mal zusammen überlegen, wie es auch anders gehen könnte. Dieses Fenster, etwas zu verändern, darf sich nicht wieder schließen.
 

Naomi Ryland, geboren 1985, hat die Karriereplattform tbd* gegründet, auf der man sich über nachhaltige Jobs informieren und mit anderen vernetzen kann. Sie studierte Intercultural Conflict Management und Germanistik und ist Mitgründerin des Social Entrepreneurship Netzwerks SEND.

Lisa Jaspers, geboren 1983, ist die Gründerin von Folkdays, einem Label für Fair Fashion und Design. Nach einem Politik- und Sozial­ökonomiestudium arbeitete sie u. a. bei Oxfam. Dort lernte sie Naomi Ryland kennen. Beide leben in Berlin und haben zusammen ein Buch über ihre Vision von „New Work“ geschrieben: "Starting A Revolution" (208 S., 18 Euro, Econ).

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