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Wasser statt Erdöl

Sonja Jost hat ein Verfahren entwickelt, das die Herstellung von Arzneimitteln umweltfreundlicher macht. Um die großen Konzerne von ihrer Idee zu überzeugen, brauchte sie einen langen Atem

Drei Jahre stand Sonja Jost fast täglich in einem Labor der TU Berlin. Es war eine Zeit endloser Versuche, tagsüber Schutzbrille und weißer Kittel, nachts oft wenig Schlaf. Die junge Chemikerin hatte sich vorgenommen, klimaschädliches Erdöl aus der Arzneimittelproduktion zu verbannen. Ein kompliziertes Verfahren, das man nicht einfacher erklären kann als so: Jost gelang es, bestimmte Katalysatoren, die man für die Herstellung von Medikamenten braucht, in Wasser einzusetzen, und nicht, wie bisher üblich, in erdölbasierten Lösungsmitteln. Eigentlich sind die Katalysatoren in Wasser nicht aktiv. Doch Jost fand während ihrer Versuche 2009 heraus, wie man ihre Aktivität erhalten oder erneuern kann. Sie wusste: Für die Pharmabranche könnte das der Beginn einer grünen Revolution sein. "Wenn die deutsche Chemieindustrie in Zukunft im globalen Wettbewerb bestehen möchte", sagt sie, "muss sie nachhaltig produzieren."

Das Studium fiel ihr schwer, doch sie konnte sich zwischen all den Männern behaupten

Sonja Jost, heute 37, ist ein Kind der 80er-Jahre, eine Zeit, in der der Umweltschutz ins öffentliche Bewusstsein rückte. Auch in ihrer Familie - der Vater stand bei VW am Band, die Mutter war Ingenieurin - wurde viel über Ökologie diskutiert. Sie war die Jüngste von drei Geschwistern, die Erste, die Abitur machte, die Erste, die studierte. In der Schule entdeckte sie die Chemie für sich. Sie wollte die Welt verstehen, bis hin zur kleinsten Einheit. Also schrieb sie sich in Berlin für Technische Chemie ein. Doch das Studium gefiel ihr erst gar nicht. Sie haderte mit dem Mathekurs, dem Hörsaal voller Männer. "Gewöhne dich dran oder such dir einen anderen Job", riet ihr die Mutter. Jost riss sich zusammen, büffelte Mathe, lernte, sich zwischen den Kommilitonen zu behaupten. Danach, sagt sie, sei ihr das Studium wie Fliegen vorgekommen. Ihre Abschlussarbeit schrieb sie über Katalysatoren: Stoffe, die chemische Reaktionen beschleunigen.

"Arrangiere dich oder gib auf" war das Motto, das sie durch die schwere Zeit begleitete

Sie promovierte. Und besuchte währenddessen einen Kurs im Patentrecht. Sie wollte ihr eigener Chef sein. Nach ihrer Doktorarbeit blieb sie noch eine Weile an der Uni. 2013 gründet sie dann das Start-up DexLeChem, um ihr erdölfreies Verfahren Pharmafirmen anzubieten. Doch die zeigten kaum Interesse. Sie arbeitete an der Rezeption von Hotels, ging Babysitten, um sich über Wasser zu halten. Und dachte zwischendurch immer wieder an den Satz ihrer Mutter: Arrangiere dich oder gib auf. 2014 hatte DexLeChem dann tatsächlich den ersten großen Kunden: das Schweizer Pharma-Unternehmen Lonza. 2016 meldete Jost ihr Patent in den USA an, für ihr Start-up war das ein Meilenstein. Sonja Jost lacht viel, während sie von ihren Anfängen als Unternehmerin erzählt. Man merkt, dass sie die Energie hat, die es wohl braucht, um eine Gründung in einer so schwerfälligen Branche voranzutreiben. Sie sitzt in ihrem Büro in Berlin, kaum sechs Quadratmeter groß, ein Schreibtisch, ein Schrank, auf dem die Patenturkunden für ihr Verfahren stehen. Hier, auf dem Gelände des Pharmakonzerns Bayer, hat DexLeChem Räume gemietet, um das Verfahren weiterzuentwickeln. Sonja Jost hat dafür einen Physiker und eine Chemikerin angestellt, sie selbst führt hauptsächlich die Geschäfte, akquiriert neue Kunden.

Jost ist sich sicher: DexLeChem hat eine große Zukunft

DexLeChem arbeitet heute mit Unternehmen in sechs europäischen Ländern zusammen, seit einem Jahr schreibt die Firma schwarze Zahlen. Jost sitzt auf Podien, wird für Expertenrunden zum Thema "Grüne Chemie" eingeladen, mit Preisen überhäuft. "Es läuft gut", sagt sie. Während ihrer Promotion führte sie einmal eine Umfrage durch: Sie fragte die Entscheidungsträger der Chemiebranche: "Was ist euch wichtig bei der Produktion?" Eine Geschichte, sagten sie: Am liebsten arbeiten Unternehmen mit Verfahren und Sub-Firmen, die sich bewährt haben. Jost ist sich sicher: Auch DexLeChem wird irgendwann einmal dazu zählen.

Sonja Jost wurde 1980 in Braunschweig geboren und wuchs in Niedersachsen auf. Nach ihrem Studium der Technischen Chemie und des Wirtschaftsingenieurwesens an der TU Berlin gründete sie das Chemie-Start-up DexLeChem. Wenn sie nicht im Labor steht, fährt sie gern Kajak oder schreibt an ihrem ersten Roman.

BRIGITTE 08/2018

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