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Magdalena Rogl Im Büro weinen? Kann genau richtig sein

Magdalena Rogl: Frau steht mit Händen vorm Gesicht im Büro
© New Africa / Adobe Stock
Im Meeting vom Stress zu Hause berichten? Kann total in die Hose gehen – doch manchmal auch genau das Richtige sein. Die Managerin und Autorin Magdalena Rogl über die Kraft von emotionaler Intelligenz im Job.

Vor vielen Jahren, als junge Frau in der Ausbildung, bin ich einmal in Tränen ausgebrochen. Meine Chefin reagierte damals eiskalt. Und ich lernte: bloß keine Gefühle zeigen. Wäre das heute anders?

MAGDALENA ROGL: Ein Wandel hat in der Tat begonnen. Trotzdem bekomme ich zum Thema Emotionen im Job häufig zu hören: Sollen wir jetzt alle anfangen zu weinen? Offenbar werden Gefühle in unserer Gesellschaft immer noch negativ gewertet. Sie sind anstrengend und peinlich. Dabei gibt es doch so viele positive Emotionen wie Begeisterung, Freude, Neugier. Innerhalb der New-Work-Philosophie, die sich damit beschäftigt, unter welchen Voraussetzungen wir in Zukunft arbeiten werden, spielt die Forderung nach Empathie aber eine große Rolle. Die Pandemie hat dazu übrigens beigetragen …

Ausgerechnet die Zeit, in der wir uns persönlich kaum noch begegneten?

Wir hatten alle das Gefühl, in einem Boot zu sitzen, zeigten in Videokonferenzen viel von unserem persönlichen Umfeld. Das Büro-Ich und die private Person waren nicht mehr so leicht zu trennen. Gleichzeitig hat die Zeit Ängste geschürt, von einer großen Resignation der Menschen war die Rede, es kam in vielen Unternehmen zu wahren Kündigungswellen. Mitarbeitende haben zunehmend die Sinnfrage gestellt und sich mehr Verbundenheit gewünscht.

Studien behaupten, dass sich gerade im Topmanagement überdurchschnittlich viele Psychopathinnen und Narzissten tummeln. Menschen also, die Empathie so gar nicht können …

Die Veranlagung ist da, davon bin ich überzeugt. Aber emotionale Intelligenz und damit Empathie kann man lernen. Und diese Fähigkeit wird immer wichtiger: Im "Future of Jobs Report" des Weltwirtschaftsforums gibt es eine Liste von Eigenschaften, die Arbeitnehmende in Zukunft brauchen werden: Im Report von 2020 hatten da acht von zehn Skills mit emotionaler Intelligenz zu tun.

Aber tut es meiner Karriere gut, wenn ich immer zeige, wie ich mich fühle? Klar, ich bin aufgeregt und vielleicht unsicher im Bewerbungsgespräch. Aber ich werde doch alles tun, das zu verstecken …

Natürlich. Emotionale Intelligenz bedeutet auch nicht, Emotionen ungefiltert rauszulassen. Es bedeutet vielmehr, sensibel für Mimik und Gestik zu sein. Mit emotionaler Intelligenz kann man Raum und Stimmung bewusst wahrnehmen und spüren, wie man auf die Personen im Gespräch zugehen kann. Reflektierte Menschen machen das fast automatisch. Und in Bewerbungsgesprächen sind wir ja sogar noch sensibler.

Reflexion und Selbstbeobachtung als erster wichtiger Schritt?

Absolut. Es ist absolut wichtig, seine Emotionen wahrzunehmen. Im Alltag spüren wir zu selten nach: Wie fühle ich mich eigentlich gerade? Bin ich sauer, enttäuscht oder glücklich? Stattdessen neigen wir dazu, Krisen kleinzureden und negative Gefühle wegzudrücken. Was wir bewusst wahrnehmen, verunsichert uns weniger, und man hat die Chance, Muster zu erkennen. Ich fühle mich am Montagmorgen zum Beispiel immer unsicher. Seit ich mir das bewusst gemacht habe, kann ich damit umgehen, nehme mir mehr Zeit, um nach dem Wochenende wieder in den Alltag zu kommen und weiß auch: Dieses Gefühl verschwindet irgendwann wieder.

Aber das tragen Sie nicht nach außen, oder?

Krisen muss man benennen, um sie zu überwinden. Und innerhalb meines Teams kann ich inzwischen zugeben: Ich habe wahnsinnige Angst, ich bin unglaublich enttäuscht. Oder: Ich fühle mich überfordert, weiß gerade nicht, wie wir anfangen sollen. Das finde ich auch wichtig. Klar, im Meeting mit der Geschäftsführung sage ich nicht: Ich weiß nicht, ob das Sinn macht, was wir uns da überlegt haben, ich zeige es hier trotzdem mal. Aber ich hatte zum Beispiel einen Vortrag vor einem hochkarätigen Publikum, es ging um Vereinbarkeit. Ich war total fertig an dem Tag, viel zu früh aufgestanden, und statt dafür zu plädieren, wie wunderbar Beruf und Familie zu vereinbaren sind, erzählte ich auf der Bühne, wie ich noch am Flughafen geweint habe vor Überforderung und Übermüdung. Kam gut an.

Sie raten in Ihrem Buch auch dazu, am Schreibtisch zwischendurch den Vagusnerv zu stimulieren, etwa durch tiefes Durchatmen, um Kopf und Bauchgefühl zu verbinden …

Ich weiß, das fällt vielen Leuten schwer, aber es hilft uns, die Theorie in die Praxis umzusetzen. Wichtig ist einfach, sich der eigenen Gefühle immer mal wieder bewusst zu werden und auch keine Angst vor sogenannten negativen Emotionen zu haben. Früher hatte ich Angst vor Wut, wie ich sie aus meiner Kindheit kannte. Heute weiß ich: Wut kann ein Ventil sein, wenn man sie sich erlaubt. Und es steckt Kraft darin. Sie kann unglaublich viel Motivation mit sich bringen. Das gilt auch für Neid. Der ist so negativ konnotiert, aber ich schaue mir meinen Neid inzwischen mit Neugierde an. Ich frage mich: Was hat die andere Person, was ich gerne hätte? Und was hat sie getan, um das zu bekommen. Ich kann daraus Ziele definieren und überlegen, wie ich sie erreiche.

Männer und Frauen werden im Büro offenbar unterschiedlich emotional: Statistisch gesehen schreien Männer häufiger, während Frauen eher weinen.

Ich denke, dahinter steckt gesellschaftliche Prägung, die wir ändern können. Bei Frauen, die Emotionen zeigen, heißt es auch oft: Du hast wohl deine Tage! Männer fragt man: Was ist denn mit dir los, du Warmduscher? Ein cholerischer Chef wiederum wird als normal empfunden, eine cholerische Chefin aber als Oberzicke. Das zeigt: Wir nehmen Emotionen bei den Geschlechtern unterschiedlich wahr. Es sollte auch für Männer okay sein, eine bisher weiblich konnotierte Emotion auszuleben. Ich arbeite eng mit einem Mann zusammen. Uns liefen schon oft im Büro gemeinsam die Tränen runter. Weil wir uns überfordert fühlten, weil wir stolz waren, bei Abschieden. Bei den Kolleg:innen kommt das gut an, die fühlen sich erleichtert, wenn wir Emotionen zeigen.

Aber manchmal wird das doch auch einfach nur ausgenutzt, oder?

Klar, Veränderungen brauchen leider Zeit, und es funktioniert noch nicht alles so, wie wir uns das wünschen. Früher bin ich bei einer negativen Reaktion sofort in den Verteidigungsmodus und habe zurückgebellt. Heute frage ich mich: Was hat die Person dazu gebracht, so zu reagieren? Umgekehrt bewahrt uns Offenheit bei der Gefühlslage vor Problemen. Ich bin mal mit sehr negativer Stimmung in ein Meeting, weil ich zu Hause Kinderchaos hatte und per Handy zwischendurch gestresst versuchte, die Abholung meiner Tochter zu organisieren. Bis eine Mitarbeiterin mich fragte: Lena, hast du ein Problem mit unseren Vorschlägen? Erst durch die Ansprache meiner Kollegin realisierte ich, wie mein grimmiger Gesichtsausdruck rüberkam. Ich wäre also besser proaktiv ins Meeting gegangen, hätte gesagt, dass ich einen schwierigen Tag habe und signalisiert, dass das nichts mit dem Projekt zu tun hatte. Stimmungen sind real, man muss sie ansprechen.

Die Forderung nach Achtsamkeit und Authentizität hat also auch das Büro erreicht?

Die gezeigten Gefühle sollten halt echt sein. Mich vermeintlich verletzlich zeigen, um bei meinem Gegenüber eine Art Empathie zu erzeugen, geht gar nicht.

Empathie gewinnt

Magdalena Rogl, 38, ist eigentlich gelernte Kinderpflegerin. Als sie das Thema Social Media für sich entdeckte, wurde sie zunächst Community-Managerin bei Focus online, 2013 Managerin für soziale Medien undOnline-Kommunikation bei der Tomorrow-Focus AG. 2016 wechselte sie als Head ofDigital Channels zu Microsoft Deutschland in München, wo sie heute den Bereich Diversity und Inclusion leitet. 2022 erschien ihr Buch "Mit Gefühl. Warum Emotionen im Job unverzichtbar sind" (256 Seiten, 18 Euro, Edition Michael Fischer).

Brigitte

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