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Kenza Ait Si Abbou Wie wichtig wird künstliche Intelligenz?

Kenza Ait Si Abbou
Kenza Ait Si Abbou, 42, ist KI-Expertin, Autorin und Vorständin beim Logistikdienstleister Fiege. In Marokko geboren, studierte sie in Spanien und Berlin Elektrotechnik und Wirtschaftsingenieurswesen und arbeitete als Managerin bei IBM Deutschland und der Deutschen Telekom. 2020 erschien ihr erstes Buch "Keine Panik, ist nur Technik", 2022 das Kinderbuch "Meine Freundin Roxy", 2023 "Menschenversteher" über Emotionale KI (256 S., 20 Euro, Droemer Knaur). Mit ihrer Familie lebt sie in Berlin.
© Metodi Popow / imago images
"Roboter werden nie für echtes Teamgefühl sorgen." Trotzdem sollten wir uns mit ChatGPT & Co. beschäftigen, sagt KI-Expertin Kenza Ait Si Abbou. Und erklärt, wie die Automatisierung in der Arbeitswelt uns allen nützen kann.

BRIGITTE: Frau Ait Si Abbou, wir führen dieses Gespräch um zehn Uhr morgens – hat Ihnen künstliche Intelligenz denn heute schon im Job geholfen?

Kenza Ait Si Abbou: Ja, die Spam-Filtersoftware, die dafür sorgt, dass mein E-Mail-Postfach frei von Spam-Mails bleibt. Sie sortiert die Mails nicht nur aufgrund bestimmter Wörter, sondern kontextbasiert, und unterscheidet auch zwischen relevant und nicht relevant. Das ist super, um den Überblick übers Postfach zu behalten.

Und sonst? Gibt es viele KI-Tools, die Ihnen Arbeit abnehmen?

Tatsächlich nutze ich gar nicht so viele KI-Anwendungen in meinem Joballtag. Klar hab ich mal ChatGPT ausprobiert, aber eher privat. Ich finde das KI-basierte Online-Wörterbuch Linguee praktisch. Und natürlich ist künstliche Intelligenz im Spiel, wenn ich mein Handy nutze, Stichwort: Gesichtserkennung. Aber sonst …

Vielleicht liegt das an Ihrem aktuellen Job? Als Technikvorständin sind Ihre Tätigkeiten laut dem Job-Futuromat des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gar nicht automatisierbar. Bei anderen Berufen scheint die Lage dramatischer zu sein. Im Januar sagte eine Untersuchung von Goldman Sachs voraus, dass weltweit 300 Millionen Arbeitsplätze durch KI wegfallen könnten. Ist das Panikmache – oder realistisch?

Beides. Realistisch ist, dass bestimmte Tätigkeiten verschwinden werden, weil eine KI sie genauso gut, vielleicht sogar verlässlicher oder schneller erledigt. In der Regel sind das repetitive Aufgaben, Tätigkeiten also, die immer wieder genau gleich ausgeführt werden. Etwa das Scannen von Waren an der Supermarktkasse. Das werden sicher bald nur noch Maschinen erledigen – mancherorts ist das ja auch heute schon so. Genauso wahr ist aber auch, dass Supermärkte und andere Läden weiter Menschen brauchen werden, die Kund:innen beraten. Und auch die KI braucht jemanden, der sie entwickelt, kontrolliert und wartet. Das heißt: Die Jobs in diesem Bereich werden nicht verschwinden. Aber sie werden sich verändern. Und es werden auch neue Produkte und Leistungen entstehen, die neue Jobs erfordern.

Aber was ist, wenn die Supermarktmitarbeiterin just den Dienst an der Kasse besonders gern mag? Oder das Warten von Robotern einfach nicht ihre Stärke ist und sie deshalb doch arbeitslos wird?

Dann muss man ihr Alternativen anbieten und sie dazu ermuntern, sich weiterzubilden, um vielleicht doch mit der KI arbeiten zu können, oder sich zu informieren, in welchen Bereichen sie ihre Stärken einbringen kann. Klar: Das sagt sich einfacher, als es ist. Und ich möchte die Herausforderung auch nicht kleinreden, nur daran erinnern, dass wir solche Erfahrungen in der industriellen Revolution beispielsweise auch schon hatten und gelernt haben, sie zu meistern. Genauso können wir es auch jetzt schaffen, mit dem aktuellen Wandel umzugehen.

Nämlich wie?

Wir sollten zusehen, dass die künstliche Intelligenz vor allem die monotonen, mechanischen Tätigkeiten übernimmt. Um so mehr Zeit für das zu haben, was nur wir Menschen können und was aktuell in unserer Gesellschaft oft fehlt: Die Gefühle des anderen erspüren und darauf reagieren, selbst Gefühle haben und sie auch zeigen, füreinander da sein.

Wie könnte so eine Arbeitsteilung konkret aussehen?

Radiologinnen könnten sich zum Beispiel bei der Auswertung von Röntgenaufnahmen von einer KI unterstützen lassen, etwa beim Brustkrebs-Screening. So bliebe mehr Zeit für Gespräche mit den Patientinnen. Lehrer könnten bei Verwaltungsaufgaben entlastet werden und so Zeit gewinnen, um auf ihre Schüler:innen individuell einzugehen.

Das klingt gut. Andererseits handelt just Ihr aktuelles Buch davon, dass Roboter mittlerweile sehr wohl in der Lage sind, menschliche Gefühle zu lesen und darauf zu reagieren. Das heißt: Auch da machen sie uns mittlerweile Konkurrenz.

Das ist tatsächlich eine spannende Entwicklung – die wir aktuell ja auch beim Thema generative KI beobachten können, also bei der Technologie hinter Anwendungen wie ChatGPT, die selbst neue Texte, Bilder oder Musik generieren. Bevor diese Programme für die breite Masse verfügbar wurden, hieß es immer: Vielleicht muss der Fließbandarbeiter fürchten, dass sein Job automatisiert wird. Wissensarbeiterinnen wie Notarinnen, aber auch Kreativschaffenden wie Drehbuchautoren wird das nie passieren!

Und jetzt sorgen sich genau die um ihre Jobs.

Genau. Denn auch wenn generative KI nicht wirklich kreativ ist, also intrinsisch motiviert etwas völlig Neues schafft, so kann sie Texte oder Bilder neu generieren. Das Ergebnis kann inhaltlich fehlerhaft sein, formal ist es aber von einem menschlichen Werk meist kaum zu unterscheiden.

Und Sie glauben, bei Berufen, in denen Gefühle eine große Rolle spielen, droht dieses Szenario nicht?

Zunächst einmal ist erstaunlich, was KI auch in diesem Bereich schon alles kann. Durch die Analyse von Merkmalen wie Mimik, Augenbewegungen und Sprache können Roboter bereits recht gut erkennen, wie es uns gerade geht. Und sie können darauf so reagieren, dass wir uns verstanden fühlen, ja, sogar eine Art Beziehung zu ihnen aufbauen. Menschen, die sich mit sogenannter conversational AI unterhalten, also mit Chatbots, die dafür trainiert wurden, menschenähnliche Gespräche zu führen, geben zum Beispiel an, dass sie sich auf diesen Austausch freuen, manche fangen sogar an, dem Bot Geheimnisse zu verraten, von denen sie selbst sagen, sie hätten bislang mit keinem darüber gesprochen.

Statt einer Psychotherapeutin vertraue ich mich in Zukunft also einer KI an, wenn ich psychische Probleme habe?

Manche dieser Programme werden tatsächlich schon für Therapiezwecke genutzt, in Deutschland sind sie aber bislang nur als Wellnessprodukt, nicht als medizinisches Produkt zugelassen. Denn hier sollten wir genau überlegen: Wollen wir wirklich, dass solche Aufgaben künftig von Maschinen übernommen werden? Und falls nein: Was sollten wir tun, damit es nicht passiert – oder in einem Rahmen stattfindet, der für uns okay ist?

Würden Gesetze helfen, hier Grenzen zu setzen?

Vor allem für die erste Zeit, in der wir uns alle an den Umgang mit KI gewöhnen müssen, halte ich Gesetze und auch klare Leitlinien von Unternehmen für sehr wichtig. Noch wichtiger wäre aber, dass wir als Gesellschaft ein Bewusstsein dafür entwickeln, welche Fähigkeiten wir auf jeden Fall den Menschen überlassen wollen und wie wir diese Skills bewusst stärken.

Sie meinen: Wir sollten unsere eigene emotionale Intelligenz trainieren?

Genau. Und zwar schon in der Schule. Aktuell werden unsere Kinder immer noch mit Faktenwissen vollgestopft. Das liefert eine KI im Zweifel schneller. Lasst uns besser die Soft Skills stärken: Empathie, Teamfähigkeit, analytisches und vor allem auch kritisches Denken. Denn die große Herausforderung der Zukunft wird darin bestehen, richtig von falsch zu unterscheiden. Der digitale Raum ist voller Fake News, inzwischen verstärkt durch KI-generierte Texte, die, wie gesagt, nicht immer der Wahrheit entsprechen. Und er ist zudem komplett personalisiert; was uns etwa auf Social Media ausgespielt wird, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Wie sollen wir miteinander ins Gespräch kommen, gemeinsam Großes schaffen, wenn wir nur noch die Inhalte der eigenen Blase für wahr halten?

Was lässt Sie hoffen, dass wir das hinkriegen?

Die Überzeugung, dass es nach wie vor vieles gibt, was KI nie können wird. Zum Beispiel das emotionale Feuerwerk einer menschlichen Umarmung zünden. Oder für echtes Teamgefühl und Zusammengehörigkeit sorgen. Da braucht es Empathie und Seelsorge – und auch die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, die uns helfen, uns eine bessere Welt vorzustellen und dafür hart zu arbeiten. All das sind Stärken, die nur wir haben. Wir sollten ihnen deshalb viel mehr Zeit widmen.

Kristina Maroldt und Kenza Ait Si Abbou
Kristina Maroldt (re.) fragt bei Interviews eigentlich nie nach Autogrammen. Bei diesem schon: Ihre Tochter ist Riesenfan von "Meine Freundin Roxy". Die Freude zu Hause war groß.
© Privat / PR
Brigitte

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