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Jobsharing: Die Vorteile von doppelter Power

Jobsharing: Die Vorteile von doppelter Power: Zwei Frauen an einem Tisch
© fizkes / Shutterstock
Wenn der Arbeitsplatz sich anfühlt, als hätte man gleich zwei davon – dann sollten ihn doch auch lieber zwei Menschen besetzen: Jobtandem heißt das Zauberwort. Doch wie teilt man sich ein und dieselbe Stelle, wer entscheidet, was gemacht wird, und wie fällt man dabei am Ende nicht selbst vom Rad?

So eine Assistentin muss man erst mal finden: 19 Jahre Berufserfahrung, von 7.30 Uhr bis 17 Uhr im Büro, studiert nebenbei BWL, spricht fließend Englisch und Italienisch, beherrscht immer die neueste Office-Technik, hat zwei Kinder und ist mit ihrer Work-Life-Balance mehr als zufrieden.

Wer schafft so etwas?

Superwoman? Nein, zwei Frauen auf einer Stelle. Julia Schmidt (39) und Katrin Kuschmierz (26) teilen sich die Assistenz der Abteilungsleitung – sie fahren zusammen "Tandem". So heißt das neuerdings, wenn zwei sich gleichberechtigt die Aufgaben teilen, gemeinsam entscheiden, gemeinsam verantwortlich sind.

Laut Familienministerium ist bei gut 30 Prozent aller Unternehmen so ein Modell möglich. Theoretisch. Tatsächlich umgesetzt wird es relativ selten. Noch. Denn immer mehr Menschen wünschen sich eine bessere Vereinbarkeit und Flexi-Lösungen, damit sie mehr Zeit für Familie, Weiterbildungen oder ganz einfach ihre Hobbys haben. Und weil nun mal unter anderem Fachkräfte fehlen, wird in immer mehr Chefetagen auf diese Bedürfnisse eingegangen. Während Julia Schmidt für ihre zwei Kinder auf 65 Prozent reduziert hat, sind Katrin Kuschmierz wegen ihres Abendstudiums 70 Prozent gerade recht. Ihr Arbeitgeber ist der Spezialchemie-Konzern Evonik. Für die Aufteilung der Wochenarbeitszeit haben sie einen Stundenplan mit Überlappungen ausgetüftelt. Julia Schmidt macht um 13 Uhr Schluss, Katrin Kuschmierz arbeitet bis 17 Uhr. Die eine hat freitags frei, die andere mittwochs. Sie sitzen im Doppelbüro, haben aber jede ihren eigenen Schreibtisch. "Wird eine krank oder geht in Urlaub, übernimmt die andere", sagen sie. Vormittags bringt eine die andere auf den neuesten Stand. "Wir geben uns laufend gegenseitig Status-Updates, damit der Übergang immer fließend ist." Wie Kette und Kettenblatt, die beim Fahrrad ineinandergreifen.

Es läuft wie geschmiert, nicht allein, weil beide menschlich gut zusammenpassen. Für die Jüngere war es ein ziemlicher Karrieresprung – bei altersgemischten Tandems ein häufiger Pluspunkt. Den Unterschied von 13 Jahren empfinden beide als Win-win-Situation. "Katrin ist sehr technikaffin, mit ihr habe ich Neuerungen viel schneller drauf, als wenn ich sie mir allein aneignen würde. Und sie hat einen frischen Blick auf die Dinge." – "Julia hat enorm viel Erfahrung, sie wird nie nervös. Als wir neulich einen Termin für viele international anreisende Teilnehmer auszurichten hatten und die Koordination komplex war, blieb sie total gelassen. Ihre Tipps zum Priorisieren oder zum Organisieren großer Termine toppen jede Berufsausbildung. Sie kennt alle Ansprechpartner und achtet darauf, dass ich mir im Unternehmen einen Namen mache."

Überhaupt sind gemischte Teams erfolgreicher als homogene, das besagen zahlreiche Studien

KLINGT NACH RICHTIGEM MENTORING. Ist es auch. Und dürfte künftig in immer mehr Firmen vorkommen. Bis zum Jahr 2024 werden 40 Prozent der Erwerbstätigen älter als 50 sein. "Harmonierende Inter-Generationen-Teams sorgen für den wichtigen Transfer von Wissen und Erfahrung", sagt Prof. Dr. Jutta Rump, Leiterin des Instituts für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen. "Außerdem balancieren sie die unterschiedlichen Interessen der Generationen aus, und das wirkt sich positiv auf das Klima und die Kultur im Unternehmen aus." Überhaupt sind gemischte Teams erfolgreicher als homogene, das besagen zahlreiche Studien. Das Denken ist vielfältiger, das Gespann kreativer und produktiver. Noch ein Vorteil: Je größer der Altersunterschied, desto seltener kommen Kämpfe um die Rangordnung vor.

DREI VIERTEL ALLER MITARBEITER bei Evonik sind am Jobsharing interessiert. Bloß: Wie sollen die Share-Willigen zueinanderfinden, bei Zigtausend KollegInnen? Über "PAIRfect" zum Beispiel, eine interne digitale Plattform nach Art einer Partnervermittlung. Sie ermittelt über eine Matching-Software, wer zu wem passt. "Paare" können sich dann gleich gemeinsam auf Stellen bewerben. Auch das Portal "Tandemploy" bringt seit 2013 Arbeitspartner zusammen – ob für Tandems, Jobrotation oder Mentoring. Dazu entwickelt man interne Matching-Plattformen etwa für SAP, Beiersdorf oder eben Evonik. Die meisten Interessenten sind Frauen. Weil sie mehr Bedarf haben, häufiger Teilzeit arbeiten wollen und vielleicht auch, weil sie das Potenzial des Modells stärker erkannt haben.

Wer mit einer dreifachen Tandem-Erfahrenen wie Kathrin Stübbe (48) spricht, bekommt sofort Lust, sich in so einen Sattel zu schwingen. Die Physikerin und Software-Spezialistin arbeitet beim Technologiekonzern Bosch. Stübbe bestieg ihr erstes Tandem 2006 als Gruppenleiterin, ihr zweites 2012 als Abteilungsleiterin eines 50-köpfigen-Teams. Jobsharing in einer Top-Position war damals noch exotischer als heute. Ihre aktuelle Pedalpartnerin, eine Ingenieurin, lernte sie auf einem Abteilungsleiter-Meeting kennen. "Wir diskutierten oft kontrovers und kamen über unsere unterschiedlichen Argumente jedes Mal zu einem besseren Ergebnis. Unterm Strich konnten wir gut miteinander." 

Das bessere Argument gewinnt!

Als beide ihre Arbeitszeit reduzieren wollten, war die Antwort klar. Seit Juni 2018 arbeiten sie in einem 50/80-Prozent-Tandem im Personalwesen. Doch wie laufen da die Entscheidungsfindungen ab, und wer hat dabei die Entscheidungshoheit? Keine von beiden: Das bessere Argument zählt. Man einigt sich – wie man das auch schon in früheren Meetings gemacht hat. Grundsätzlich braucht man für das Mehrpersonen-Arbeitsmodell eine kooperative Haltung. Wer Machtkämpfe im Sinn hat, würde das Tandem an die Wand fahren. Wegen ihrer großen Erfahrung wird Kathrin Stübbe oft von Kollegen nach Tandem-Tipps gefragt. "Grundvoraussetzung ist, dass sich die Partner wirklich verstehen und vertrauen. Jeder sollte offen sagen, welche beruflichen Ziele er verfolgt." Dadurch werden Spannungen oder das Buhlen um dieselben Prestigeprojekte bereits im Vorhinein vermieden. Wichtig sei auch der Rückhalt im Team und bei den Vorgesetzten, damit alle Schnittstellen funktionieren: Wie gestalten wir die Übergabe - per Telefon, Mail oder App? Wen setzen wir für welche Fälle in cc? Ist es gut, wenn wir eine gemeinsame Mailadresse haben? Erst nach etwa drei Monaten kommt ein Tandem in den Flow.

"UND: IST ETWAS SCHIEFGEGANGEN, MACHT MAN KEIN FINGERPOINTING, man trägt gemeinsam die Verantwortung", sagt Stübbe. Sie hält das Doppel für ein Zukunftsmodell: "Die Arbeitswelt ist so komplex, dass Führung im Tandem absolut Sinn macht. Jeder bringt seine Stärken ein – das ist gut für das gesamte Team."

Auch Evelyn Fischer (41) und Salim Jahan Bakhsh (30) teilen sich eine Führungsposition im Marketing bei Coca-Cola Deutschland. Für beide ein Aufstieg. Ihr Modell: 67/80-Prozent. Ihr wichtigstes Learning: einen Coach fürs Organisatorische dazuholen und langfristige Fragen abstecken wie "Wie können wir trotz Dienstreisen den Stundenplan einhalten?". Coca-Cola sieht im Jobsharing Vorteile für alle Seiten: mehr Innovationen – und mehr Frauen in Führungspositionen. Zudem entstehen praktisch keine Lücken durch Krankheit, Mutterschaft oder Urlaub. Geteilte Verantwortung heißt weniger Belastung für den Einzelnen. Kein Burn-out, dafür doppelte Kompetenz.

Großer Vorteil für die Work-Life-Balance

FRAGT MAN EVELYN FISCHER UND SALIM JAHAN BAKHSH, SPRUDELN BEIDE LOS - über die Stärken des anderen. Und dann sagt Fischer etwas, was die höhere Effizienz von Tandems klarmacht: "Ich brauche an meinem freien Tag nicht ans Telefon zu gehen. Dadurch bin ich ausgeglichener und habe mehr Power für die Arbeit. Unsere Basis sind Vertrauen und Toleranz. Trifft einer in Abwesenheit des anderen eine Entscheidung, weiß der andere, dass die Sache Sinn ergibt." Jahan Bakhsh ergänzt: "Es kommt schon vor, dass man die Entscheidung nicht zu 100 Prozent super findet, aber sie wird akzeptiert. Zwischen uns darf kein Blatt Papier passen."

Ihre Geschlossenheit überzeugt. Das Team hat schon einen Spitznamen für sie: Sevelyn. Fühlt sich Salim Jahan Bakhsh da nicht zu kurz gekommen? "Nein, das S wird ja groß-geschrieben", sagt er – und es ist nicht auszumachen, wer von beiden dabei lauter lacht. Dass beide keine Harmonie-Show abziehen, sondern, im Gegenteil, an einem Strang ziehen, lässt sicher bald noch mehr Kolleginnen aufs Tandem steigen.

Brigitte WOMAN 5/2019

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