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Hilfe im Corona-Alltag "Wenn es nur Müsli gibt, ist das auch okay"

"Der neue, alte Alltag wird ein bisschen anders werden", sagt Reinhild von Fürstenberg.
"Der neue, alte Alltag wird ein bisschen anders werden", sagt Reinhild von Fürstenberg.
© FürstenbergInstitut_Verena Reinke
Über ein Jahr Corona: So langsam verlässt viele von uns die Motivation – beruflich wie privat. Reinhild Fürstenberg, Gründerin und Geschäftsführerin des Fürstenberg Institutes, das Mitarbeiter*innen und Führungskräfte im Bereich mentale Gesundheit berät, gibt Tipps, wie wir die kommenden Wochen überstehen – und in den alten, neuen Alltag zurückfinden.

Frau Fürstenberg, die Hamburg AOK vermeldet vermehrte Krankmeldung wegen psychischer Belastung bei Arbeitnehmer*innen. Wie groß ist der Einfluss des letzten Jahres und der Corona-Pandemie? Den Einfluss spürt man mittlerweile deutlich.Im ersten Lockdown war die Stimmung noch deutlich besser, jetzt aber im langen zweiten Lockdown sind viele Menschen die Situation oft einfach leid, zahlreiche belastet. Auch diejenigen, die vorher psychisch stabil waren, leiden unter der fehlenden Perspektive. Das beobachten wir auch bei uns im Institut. Wir haben deutlich mehr Menschen, die mit einer tiefen Erschöpfung, mit depressiven Verstimmungen oder auch handfesten Depressionen bei uns Beratung suchen. Daneben haben wir eine deutliche Zunahme im Bereich von Ängsten und von Suchtproblem. Im Homeoffice gibt es zum Beispiel keinen Grund, nicht zu trinken, Kühlschrank und Hausbar sind ja direkt nebenan – und die Kolleg*innen können die Fahne nicht riechen.

Ein weiteres Thema sind natürlich die Konflikte in Familie und Partnerschaft. Manche Paare hocken im Homeoffice den ganzen Tag aufeinander. Vielleicht hatten sie vorher schon Probleme, aber nun können sie gar nicht mehr ausbrechen aus der Enge der Beziehung. Dabei kommt es häufiger als früher zu Eskalationen und damit leider auch zu Fällen häuslicher Gewalt.

Welche Probleme bringt denn das Arbeiten im Homeoffice oder auch hybrid mit sich?
Es ist natürlich etwas ganz anderes, wenn man im Homeoffice arbeitet und eben nicht das Haus verlässt, um zur Arbeit zu gehen. Erstmal ist es eine kleine Kunst, mit dem Team gut im Kontakt zu bleiben, wenn man sich nicht mehr trifft. Man muss wirklich seine Gewohnheiten umstellen, denn das, was früher an der Kaffeemaschine an Small-Talk stattgefunden hat oder in der gemeinsamen Mittagspause, gibt es nicht mehr. In digitalen Meetings geht viel Zwischenmenschliches verloren. Man meldet sich meist nur noch, um gezielt Themen zu besprechen.

Das kann aber auch dazu führen, dass man einige Mitarbeiter*innen verliert. Wir appellieren daher an die Führungskräfte, das Wir-Gefühl aufrecht zu erhalten. Diese Entwicklung hin zu virtueller oder hybrider Zusammenarbeit muss proaktiv gesteuert werden. Und daher sehe ich auch nach Corona nicht, dass Menschen komplett im Homeoffice arbeiten werden. Denn so besteht die Gefahr, dass es für Mitarbeiter:innen irgendwann unerheblich ist, für welche Firma sie arbeiten. Denn oft machen die Kolleg:innen und die kleinen Team-Auszeiten am Arbeitsplatz den Unterschied. Es geht hier also auch um Mitarbeiter:innen-Bindung. Und nicht zuletzt wirklich um die Qualität der Arbeit. Ein Beispiel: Mitarbeiter*innen sind teilweise unsicher, weil sie gerne nochmal kurz eine Kolleg:in fragen würden: "Würdest du das auch so machen?" oder andere Kleinigkeiten, bei denen man jetzt nicht zum Hörer greifen will, aber trotzdem einen Austausch benötigen würde. So gehen viele Informationen verloren oder werden nicht mehr ausgetauscht.

Was kann man denn konkret dagegen tun?
Zum einen raten wir erst einmal jedem, der im Homeoffice arbeitet, sich unbedingt den Tag zu strukturieren. Das fängt damit an, sich morgens ein Arbeitsoutfit anzuziehen – denn das kann man eben nach der Arbeit auch wieder ausziehen. Wichtig ist zudem, mit Anfangs- und Endzeiten zu arbeiten und regelmäßige Pausen einzubauen. Das heißt auch, die Wohnung zu verlassen, um eine echte Unterbrechung zu haben und sich die Beine zu vertreten. Am besten mal einen Spaziergang machen. Bewegung ist oftmals wirklich der beste Therapeut.

Ich persönlich finde es auch wichtig, dass man sich bewusst entscheidet, sich diese Zeit schön zu machen. Sich nicht abhängig zu machen von den politischen Entscheidungen, die in dieser Zeit getroffen werden, sondern Dinge zu tun, die man vielleicht sonst nicht gemacht hätte. Sich zum Beispiel jeden Tag eine Kugel Lieblingseis vom Eisladen um die Ecke zu gönnen.Oder sich mit der Freundin zum virtuellen Kaffee oder Feierabend-Getränk verabreden, die weiter weg wohnt und von der man nicht so oft etwas hört. Denn sich auch um andere kümmern und anderen etwas Gutes tun, macht viel Freude.

Wir haben in unserer BRIGITTE Studie festgestellt, dass Frauen während der Krise doch in alte Rollenmuster zurückgefallen sind. Sie leiden unter der Doppelbelastung mit Care-Arbeit und als Mutter. Wie kann man sich da Luft verschaffen?
Ja, das kann ich leider nur bestätigen. Statt die Zeit zu nutzen, um eine bessere Aufteilung hinzukriegen, beobachten wir von der Tendenz her eher das Gegenteil. Frauen bleiben wieder mehr zu Hause und übernehmen die klassischen Aufgaben. Hinzu kommt, dass viele Mütter auch noch das Homeschooling übernehmen und eine zusätzliche Rolle aus Lehrkraft einnehmen müssen. Oder Frauen, die sich um pflegebedürftige Angehörige kümmern, werden durch Corona noch weiter gefordert.

Was kann hier helfen?
Für Mütter halte ich für sehr wichtig, sich freie Zeit zu gönnen und auch mit der Familie im Homeoffice klare Strukturen zu verabreden. Klar delegieren, wer was macht: Vielleicht können die Kinder einen Teil des Einkaufs übernehmen oder sogar schon kochen. Und wenn es dann mittags nur ein Müsli gibt, ist das auch okay – wenigstens ein To Do weniger für die Mutter. Das kann mitunter schon entlastend sein und neue Handlungsspielräume sichtbar machen. Neben festen gemeinsamen Essenszeiten ist es in Familien auch sinnvoll, die Zeiten mit den Kindern aufzuteilen. Und vor allem auch kinderfreie Elternzeiten fest einzuplanen. Zudem dürfen wir uns ruhig auch mal auf die Schulter klopfen und stolz darauf sein, dass man gut durch die Zeit hindurch gegangen ist.

Wie finde ich den Weg zurück in meinen "alten" Alltag?
Ich glaube, es wird nicht mehr so wie früher, sondern ein bisschen anders werden. Und unsere Aufgabe liegt aus meiner Sicht darin, das Beste aus beidem zu generieren. Auch selbst zu fühlen oder zu spüren, was wirklich gut für uns ist, damit wir in unserer Kraft sind. Es geht darum, dass wir einerseits das etwas Ruhigere beibehalten und das Lebendige zurückholen, das uns guttut und im Alltag für uns Sinn macht. Das gilt für das Privatleben, aber ebenso für den Job. Deshalb sollten wir das auch mehr mit den Vorgesetzten besprechen.

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