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Cordula Nussbaum: Ist Querdenken im Job wirklich gefragt?

Cordula Nussbaum: Frau sitzt nachdenkend vor PC
© fizkes / Shutterstock
Hauptsache individuell, besonders! Mainstream gilt fast schon als Schimpfwort. Aber wie viel Querdenken ist wirklich gefragt? Ein Gespräch mit Karriere-Coach Cordula Nussbaum

BRIGITTE: Frau Nussbaum, fast niemand möchte gern als Durchschnitt bezeichnet werden. Gibt es denn gar keine normalen Menschen mehr?

CORDULA NUSSBAUM: Zumindest sieht sich keiner mehr so. Mainstream zu sein hat keinen guten Ruf. Man assoziiert damit die "graue Masse", von der sich niemand abhebt. Keiner will so sein. Zumindest will sich keiner so fühlen.

Sondern?

Wir wollen individuell sein, aber dazu reichen uns manchmal schon sehr kleine Eigenheiten: Dass wir unseren eigenen Kleidungsstil haben oder so etwas. Es gibt ja viele Möglichkeiten, sich in Kleinigkeiten von anderen abzuheben: Ich kann mir online über 566 Billiarden persönliche Müsli-Mischungen erstellen; die Leute fahren kein Durchschnittsrad mehr, sondern maßgeschneiderte Bikes. Interessant ist dabei, dass wir am Ende doch wieder zusammenkommen – und trotz aller Individualität das gleiche Handy oder Urlaubsziel am attraktivsten finden. Jeder Mensch hat viele unterschiedliche Vorlieben und auch Ansichten, die er je nach Kontext aktivieren kann, und das ist natürlich auch von Trends und Moden gesteuert. Aber so weit reflektieren wir das nicht. Jeder hat das Gefühl, dass er diese Vorliebe ganz persönlich entwickelt hat. Und plötzlich haben alle Midi-Röcke und ein iPhone in Rosé und sind dennoch stolz auf ihre ganz persönliche Wahl.

Also sind wir gar nicht so wenig Mainstream, wie wir immer denken?

Man kann sagen: Wir legen heutzutage viel Wert darauf, die Wahl zu haben. Doch wir nutzen die Möglichkeiten, unser ganz eigenes Ding zu machen, häufig nur in Teilbereichen. Wenn wir in größeren Fragen gegen den Strom schwimmen, kostet das schließlich auch Kraft. Wenn alle Eigentum kaufen, und man selbst sitzt in seiner Mietwohnung, die man eigentlich liebt, zweifelt man dann doch plötzlich am eigenen Lebensstil. Und wenn der Chef eine Anweisung gibt, springen die wenigsten auf und benennen die kritischen Punkte.

Das klingt schon etwas feige. Oder zumindest ein bisschen nach Schafherde.

Keineswegs! Es spricht überhaupt nichts dagegen, angepasst zu sein. Auch das ist eine individuelle Entscheidung – und eine Frage von Energieverteilung. Man kann sich bewusst gegen Stress im Job entscheiden. Privat ist man dafür jemand, der aktiv und mit viel Energie immer wieder etwas verändert, sich aus einer unguten Partnerschaft befreit oder unkonventionell verreist. Die Frage ist doch: Wie glücklich fühle ich mich in meinem Alltag? Wenn ich die für mich passende Mischung aus Angepasstheit und Freiheit habe, ist alles in Ordnung. Gibt es jedoch Bereiche, die sich fad anfühlen, fehlt da vielleicht eine Dosis Querdenken.

Eine Prise Querdenken ist erwünscht, aber nicht die volle Ladung

Aber gerade im Beruf hört man doch derzeit ständig den Ruf, dass die Leute eine eigene Meinung und Mut zum Widerspruch entwickeln sollten ...

Da gibt es schlicht eine große Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Viele Firmen suchen lediglich vordergründig Querdenker und Mitarbeiter, die Altes auf den Prüfstand stellen und neue Horizonte eröffnen. Aber am Ende muss die Arbeit getan werden – und viele Chefs möchten dann doch lieber eine fleißige Ameise im Team, die ihren Job macht, als jemanden, der ständig alles infrage stellt. Unternehmen suchen selten echte Querdenker, sondern Beschäftigte mit Grips: Sie sollen ihren Job erledigen und mitdenken. Wenn Probleme auftauchen, dürfen sie die gern benennen – aber nur, wenn sie auch gleich eine Lösung dafür parat haben und diese umsetzen. Eine Prise Querdenken ist erwünscht, aber nicht die volle Ladung.

Nehmen wir mal eine Gruppe von zehn Personen. Wie viele wirklich Querdenkende würden Sie dort vermuten? Eher einen oder eher fünf?

Eher einer von zehn. Es sind nicht so viele Menschen, die den inneren Drang haben, die Dinge ständig neu zu betrachten. Außerdem ist es ein menschliches Grundbedürfnis, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Wer Angst hat, durch sein Anderssein ausgegrenzt zu werden oder allein dazustehen, wird sich sein Querdenken zwei Mal überlegen. Viele sozialpsychologische Experimente zeigen, wie groß Gruppendruck sein kann: Menschen schließen sich sogar ganz offensichtlich falschen Antworten an, wenn nur genug Personen der Gruppe darauf beharren, dass es die richtige ist.

Woher bekommt man die Kraft, wenn man so richtig gegen den Strom schwimmen will?x

Die Basis ist, seine eigenen Werte zu kennen. Ich frage zum Beispiel meine Klienten im ersten Schritt: Was treibt dich im tiefen Inneren an? Wo zieht es dein Herz hin? Einigen fällt auf, dass ihnen die Familie und Freundschaften am wichtigsten sind. Anderen bedeutet Gerechtigkeit extrem viel. Oder Ansehen. Wohlstand. Dabei geht es nicht um "besser" oder "schlechter". Es ist schlicht so, dass wir uns wohler fühlen, wenn wir im Einklang mit unseren Werten handeln.

Und der zweite Schritt?

Unser Umfeld spielt eine enorm wichtige Rolle, ob es uns leichter oder schwerer fällt, zu unseren Werten zu stehen. Wenn für mich zum Beispiel Ansehen wichtig ist und ich in einem Umfeld lebe, in dem ein SUV ein wichtiges Statussymbol ist, wird es mir schwerfallen, darauf zu verzichten. Selbst wenn ich eigentlich ein einfaches, ökologisch korrektes Leben führen möchte. In einer Nachbarschaft, die Wert auf Nachhaltigkeit legt, würde dieselbe Person vielleicht komplett auf ein Auto verzichten. Wenn ich meine Werte leben möchte, sollte ich mir ein passendes Umfeld suchen, in dem ich im Einklang mit meinen Überzeugungen leben kann. Ich empfehle meinen Klienten auch, in ihrem Bekanntenkreis nach inspirierenden Vorbildern zu suchen. Oft kennen wir Menschen, die schon einen Schritt weiter sind; sie können uns beflügeln und stärken.

Es gibt also häufig Konflikte, wenn man seine Werte konsequenter lebt?

Ich habe oft Klientinnen, die tolle Veränderungsideen entwickeln – und dann ist es ausgerechnet die beste Freundin, die ihnen sagt: Das kannst du doch nicht machen! Mein Tipp ist deshalb: Wenn man anfängt, etwas zu verändern und seine Fühler ausstreckt – rede nicht sofort über deine Ideen! Sprich erst darüber, wenn du auch innerlich die Haltung hast: Es ist richtig, was ich mache. Dann lässt man sich nicht mehr so leicht verunsichern.

Wir können zufrieden auf unser Leben zurückschauen und sagen: So habe ich es gewollt

Wenn man aus der Norm ausbricht, sind die Menschen aus dem nahen Umfeld manchmal die härtesten Kritiker. Warum ist das so?

Wenn wir etwas verändern, konfrontieren wir andere mit ihrer zögerlichen oder unfähigen Seite, das eigene Leben in die Hand zu nehmen. Wir führen ihnen vor Augen, dass man ausbrechen kann. Das macht gerade die neidisch und missgünstig, die mit ihrem Leben unzufrieden sind, aber nichts dagegen tun. Die Kommentare haben also nichts mit mir und meinen Plänen zu tun, sondern mit der Unzufriedenheit der anderen.

Wie geht man damit um?

Wenn ich auf meine Werte vertraue, gehe ich auch gegen Widerstände meinen Weg. Denken Sie an all die feministischen Bewegungen! Noch vor 50 Jahren durften Frauen nicht ohne die Zustimmung des Mannes arbeiten. Damals gingen die Frauen dagegen auf die Straße – und wurden angefeindet. Zum Glück hatten die ein dickes Fell und sind unbeirrt gegen den Strom geschwommen.

Was gewinnen wir, wenn wir so vehement leben, was uns wichtig ist?

Vor allem ein völlig anderes Lebensglück. Wir können zufrieden auf unser Leben zurückschauen und sagen: So habe ich es gewollt. Es fühlt sich richtig an. Ansonsten kann es passieren, dass wir irgendwann vorwurfsvoll werden – und andere für unsere begrabenen Träume verantwortlich machen. Das Kind hat uns davon abgehalten ... Die Firma hat uns die Zeit gestohlen ... Ich denke, alles Lästern, Hetzen, Sich-moralisch-über-andere-Erheben – das tun immer nur diejenigen, die mit ihrem Leben unzufrieden sind. Wenn wir selbst tun, was wir richtig finden, können wir mit anderen großzügig sein. Sprich: Wie kann ich dich unterstützen? Statt: Wie kannst du das nur tun? Was wäre das für ein schöner Planet!

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BRIGITTE 18/2019

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