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Prof. Christiane Funken im Interview "Alle möchten am liebsten 31 Stunden arbeiten"

Dr. Christiane Funken
© Gudrun Petersen
Die Soziologieprofessorin Christiane Funken hat unsere Studie dieses Jahr erneut begleitet. Sie findet: Damit Frauen wirklich mehr Chancen bekommen, müssen wir das Thema Arbeit neu denken.

Frau Funken, 2017 lautete das zentrale Ergebnis unserer BRIGITTE-Studie: "Wir stehen am Wendepunkt." Ging es seither eher vorwärts oder eher rückwärts mit der Gleichberechtigung?

CHRISTIANE FUNKEN: In manchen Bereichen gab es tatsächlich kleine Fort­ schritte. Die aktuelle Studie zeigt etwa, dass die Aufteilung der Hausarbeit etwas gerechter wurde: Der Anteil der Frauen, die angeben, sie übernähmen zu Hause den Großteil, ist leicht gesunken. Frauen und Männer sind mit der Flexibilität ihrer Erwerbsarbeitszeit etwas zufriedener. Väter, die Elternzeit nehmen, stoßen auf mehr Verständnis. Alles Punkte, die wichtig sind, um mehr Gleichberechti­gung zu erreichen. Doch dieser kleine, schrittweise Aufbruch ist für die meisten Frauen mit großer Anstrengung verbun­den. Und viele bekommen von den gerin­gen Verbesserungen kaum etwas mit. 

Woran liegt das? 

Der Hauptgrund ist die Polarisierung der Erwerbsarbeitszeiten von Frauen und Männern: Frauen haben größtenteils Teilzeitstellen, Männer arbeiten meist in Vollzeit, obwohl die Berufs­ und Lebens­pläne beider fast deckungsgleich sind. Die negativen Folgen aber treffen vornehm­lich Frauen, dies sehen wir in der Studie überall: Wegen der Teilzeit sind ihre Karrierechancen äußerst gering und ihre finanzielle Situation oft prekär. Die Angst vieler Frauen vor Altersarmut ist merk­lich gestiegen. Und die Arbeit zu Hause ist nach wie vor sehr ungleich verteilt – und zwar zu Lasten der Frauen. Folglich sind sie mit ihrer Situation in vielen Punkten unzufriedener als Männer.

Dass die Angst der Frauen vor Altersarmut so gestiegen ist, hat sicher mit der Corona-Krise zu tun.

Hat die Corona-Krise die Frauen zusätzlich zurückgeworfen?

Dass die Angst vor Altersarmut so gestiegen ist, hat sicher mit der Krise zu tun. Viele Frauen arbeiten ja im Niedrig­lohnsektor, dort gab es keine Aufsto­ckung des Kurzarbeitergelds und viele Kündigungen. Zudem mussten mehr Frauen als Männer ihren Job aufgeben oder reduzieren, um während der Schul­ und Kitaschließungen ihre Kinder zu betreuen. Nur bei jeder Vierten reicht das eigene Einkommen derzeit aus, um Rück­ lagen zu bilden – das ist ein dramatischer Befund. Doch mein Eindruck ist auch: Die Krise hat manches in Bewegung gesetzt. So scheinen die Unternehmen zukünftig eher bereit zu sein, die Arbeitszeiten flexibler zu gestalten. Und der Blick der Frauen auf die Ursachen ihrer prekären Lage wurde offenbar geschärft: Jede Zweite beklagt, Corona habe die traditio­nellen Rollenbilder in Partnerschaften verstärkt. Zwei Drittel finden, die Politik beachte die Belange von Frauen in der Krise zu wenig. Dieses Bewusstsein ist wichtig für Veränderung.

Aber es löst noch keine Probleme. Was müsste denn passieren, damit sich die Situation für die Frauen verbessert? 

Das, was ich schon 2017 sagte: Wir müssen die Erwerbsarbeit neu verteilen.

Damals plädierten Sie für eine Normalarbeitszeit von 32 Stunden. Das kommt der durchschnittlichen Wunscharbeitszeit unserer Studienteilnehmenden sehr nahe.

Genau. Im Schnitt möchten alle am liebs­ten 31 Stunden arbeiten. Das heißt: Die meisten Männer würden ihre Arbeitszeit gern reduzieren, viele Frauen würden sie gern aufstocken. 

Warum tun sie es nicht? 

Weil die unternehmerische Ablehnung dieses Modells noch groß ist. Eine 32­-Stunden­ oder 4­Tage­-Woche bei vollem Lohn sei zu teuer, ist die Meinung vieler Arbeitgeber. Ich finde, das ist ver­kürzt gedacht: Studien zeigen, dass die Arbeit oft effizienter ist und die Betriebs­ ausgaben geringer ausfallen, abgesehen von den positiven Folgen, etwa für unser Klima. Aktuell bedeutet eine reduzierte Arbeitszeit somit immer auch: weniger Gehalt. Und dass unter solchen Bedin­gungen der Mann in Teilzeit geht, können sich viele Familien nicht leisten. Weil sein Bruttostundenlohn meist deutlich höher ist als ihrer.

Um die Weichen neu zu stellen, müssten also auch die Löhne der Frauen steigen.

Ja, und dafür müssen wir die Qualität der Arbeit neu bewerten. Wissen und Kön­nen, Verantwortung und psychosoziale Kompetenz müssten genauso entlohnt werden wie physische Aspekte. So könn­ten auch die vielen Frauen in systemrele­vanten Berufen besser bezahlt werden. 

Wenigstens scheint es für Väter mittlerweile einfacher zu sein, ihren Beruf für die Familie zu unterbrechen und die Mütter so bei der Sorgearbeit zu entlasten. 

Stimmt. Doch wer als Mann mehr als zwei Monate Elternzeit nehmen will, wird weiterhin schräg angeschaut. In der Arbeitsaufteilung zu Hause schlägt sich die gestiegene Akzeptanz für Väter daher kaum nieder: Der Anteil der Mütter, die bei Haushalt und Kinderbetreuung fast alles machen, ist seit 2017 nur minimal gesunken. Rund jede Zweite übernimmt nach wie vor den Großteil der Hausarbeit – sogar, wenn sie Vollzeit berufstätig ist. 

Viele fordern ja, die Partnermonate beim Elterngeld auszuweiten, damit sich die Väter von Anfang an zu Hause mehr engagieren. Um die Bezugsdauer voll auszuschöpfen, müsste dann jedes Elternteil zum Beispiel mindestens vier Monate zu Hause bleiben. Was halten Sie davon? 

Ich finde das gut. Viele Väter würden ja gern länger pausieren, weil das ihrer Vorstellung moderner Elternschaft ent­spricht. Sie trauen sich aber nicht, diesen Wunsch bei ihren Vorgesetzten durchzu­setzen. Eine gesetzliche Regelung würde ihnen die Argumentation erleichtern. 

Die 30- bis 39-jährigen und die 50- bis 59-jährigen Frauen haben wir uns dieses Mal genauer angeschaut. Beide sind mit bestimmten Aspekten ihres Berufslebens im Vergleich zu den Männern auffallend unzufrieden. Bei den jüngeren ist es der Führungsstil in den Unternehmen, bei den älteren sind es die Aufstiegschancen. Wie kommt das? 

Fangen wir mit jüngeren Frauen an. Wie die Männer erleben auch sie in ihren Dreißigern einen Realitätsschock: Ihre persönliche Vorstellung von guter Füh­rung sieht anders aus und ist nicht pri­mär durch politische Machtstrategien und Überstunden gekennzeichnet. Auch die unternehmerischen Leitbilder der Zukunft, die sie in ihrer Ausbildung ver­mittelt bekamen, sprich: das vernetzte, teamorientierte Führen, haben mit der Wirklichkeit oft wenig zu tun. Nach rund zehn Jahren im Job ist bei vielen dann der Frust groß, sie sagen: Unter solchen Bedingungen will ich selbst nicht Chefin sein. Dann verzichte ich eben auf die große Karriere.

Und die Männer? 

Denen fällt die Anpassung an die konven­tionelle hierarchische Führungskultur oft leichter. Sie sind ja meist auch noch anders sozialisiert als Frauen. Begriffe wie Macht, Wettkampf oder „Ellbogen raus­ fahren“ – selbst gegen geliebte Kollegen – stört sie nicht. Bereits auf dem Schul­hof lernten sie ja, für eine Spielzeit lang den besten Freund zum Gegner zu machen. Frauen dagegen führen am liebs­ten team­- und inhaltsorientiert, das zei­gen viele Studien. Und dies können sie zumeist auch besser als die Männer. 

Für die neue Arbeitswelt wären sie also perfekt gerüstet.

Ja. Aber sie müssen begreifen, dass ihre zukunftsträchtigen Kompetenzen einen Marktwert haben – und sie entsprechend gut verkaufen. Das erfordert mitunter Mut und Kraft. Und angesichts einer Rea­lität, in der es sich ökonomisch ohnehin meist eher lohnt, wenn in der Familie der Mann Karriere macht, fragen sich viele Frauen: Warum soll ich mir das antun?

Was müssten die Unternehmen tun, um diese Frauen bei Stange zu halten? 

Wie gesagt: Einerseits brauchen wir eine Umverteilung der Arbeit und flexiblere Arbeitszeiten, sodass beide Geschlechter die Berufs­ und Fürsorgearbeit gerecht teilen können. Erst dann kann auch Homeoffice für alle zum Gewinn werden. Außerdem muss sich die Führungskultur in den Unternehmen ändern. Dies eröff­net nicht nur den Frauen mehr Möglich­keiten für eine sinnvolle Berufslaufbahn, sondern auch den Firmen mehr Chancen – für eine zukunftsträchtige und wettbe­werbsstarke Unternehmensführung.

Auch die 50- bis 60-Jährigen hadern oft mit ihrem Job, speziell mit ihren Aufstiegschancen. 

Aus gutem Grund. Denn wirklich geför­dert werden vielerorts nur Beschäftigte bis Mitte 40, danach gilt: Das nutzt der Firma nichts mehr. Gerade für Frauen kann das frustrierend sein, weil viele erst dann, wenn die Kinder größer oder aus dem Haus sind, im Job richtig loslegen können. Männer dagegen haben in dem Alter schon oft verschiedene Führungspositionen durchlaufen, sodass vorrangig sie, wenn überhaupt, für die oberen Etagen gehandelt werden. Frauen hinge­ gen fallen durch die Raster der Firmen und treten bedingt durch Kinderbetreu­ung und Teilzeit karrierestrategisch auf der Stelle. 

Was raten Sie hier den Frauen – und den Unternehmen?

Leider sind die impliziten Karrieremo­delle in den Firmen auf ununterbrochene Berufslaufbahnen und frühe Karriere­ schritte ausgerichtet. Frauen laufen somit häufig unter dem Radar. Dies muss sich ändern, denn hier geht enormes Potenzial verloren. Vor allem die Wiedereinstiegsbedingungen für Frauen nach der Eltern­ zeit müssten besser geregelt werden, sodass sie da weitermachen können, wo sie aufgehört haben. Die Frauen selber sollten darauf achten, in der Elternzeit engen Kontakt zum Unternehmen zu hal­ten, um so die Prozesse und Entwicklun­gen kontinuierlich zu verfolgen.

Unternehmen können viel für Gleichberechtigung tun. Doch den Rahmen gibt die Politik vor. Dieses Jahr ist Bundestagswahl. Welche Themen sollte die neue Regierung unbedingt anpacken, wenn sie Gleichberechtigung vorantreiben will?

Am wichtigsten finde ich die Umvertei­lung und Neubewertung von Arbeit. Nur so können wir uns als Gesellschaft auch insgesamt für die Zukunft rüsten. Schon jetzt ist die Zahl der Burn­-out-­Fälle groß – weil manche extrem viel arbeiten, andere sich dagegen nicht ausgelastet fühlen. Und schon jetzt gibt es ein immen­ses Fachkräfteproblem in den Pflegeberu­fen, weil die so schlecht bezahlt werden. Dass mehr Gleichberechtigung allen nützt, zeigt sich nirgends so gut wie hier. 

Christiane Funken, 67, war Professorin für Medien­ und Geschlechtersoziolo­gie an der TU Berlin. Sie forscht zu den Arbeits­ und Karrierebedingungen von Frauen und berät Firmen zur Arbeitswelt der Zukunft.

Der BRIGITTE-Talk: Das wollen wir!

Chancen, Zeit, Geld, Macht – die BRIGITTE-Studie zeigt: Von alldem haben Frauen oft weniger als Männer. Woran liegt das? Und wie können wir es ändern? Darüber und über die spannendsten Ergebnisse unserer Studie diskutieren wir am 31.3. um 18.30 Uhr mit Professorin Christiane Funken. Sei dabei! Und sage, was du dir von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wünschst. Die Teilnahme ist kostenlos. Alle Infos zu unserem Online-Talk unter: www.brigitte.de/studie_talk

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BRIGITTE 06/2021

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