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So klappt's im Job! Wie der Aufstieg auch ohne Vitamin B gelingt

Frau sitzt vor Bildschirm
© Restyler / Adobe Stock
Kein Abitur? Keine reichen Eltern? Woher man kommt und wie viel Geld man hat, beeinflusst nach wie vor sehr, wie weit man im Job kommt. Warum sich das gerade ändert und wie der Aufstieg auch ohne Vitamin B gelingt.

Wer fleißig ist, steigt auf. Dieses Mantra begleitete Olga Plotnykova während ihrer Kindheit auf der ukrainischen Halbinsel Krim. Die Eltern der heute 33-Jährigen hatten nach dem Zerfall der Sowjetunion ihre Arbeit verloren. Der Vater begann zu trinken, die Mutter fand trotz akademischer Bildung nur schlecht bezahlte Jobs. "Wir haben das Mittagessen zu Hause oft bis in den späten Nachmittag hinausgezögert, weil kein Geld für Abendessen mehr da war", erinnert sich Plotnykova. Sie habe sich dafür geschämt, arm zu sein. "Um die Scham zu reduzieren, wollte ich immer Top-Leistungen bringen."

Nach dem Abitur studierte sie in der Ukraine technische Übersetzung für Englisch und Französisch, später hängte sie in Berlin dank eines Stipendiums einen Master dran. Die Eins stand stets vor dem Komma – und doch erhielt Plotnykova zunächst auf 90 Bewerbungen fast nur Absagen. Woran es lag, weiß sie bis heute nicht genau. "Vielleicht war mir einfach nicht klar, wie ein Motivationsschreiben oder ein Lebenslauf aussehen sollen." Ihre Karriere begann dann im Kundenservice einer Online-Buchungsplattform. Ein Job, für den man eigentlich kein Studium braucht. "Das war eine große Enttäuschung."

Wer Stellenanzeigen und Karrierewebsites von Unternehmen durchforstet, findet inzwischen fast überall Vielfaltsversprechen. Meist bebildert mit Menschen unterschiedlicher Geschlechter und ethnischer Hintergründe, behaupten die Firmen: Bei uns kann jede:r arbeiten. Aber stimmt das wirklich? Ein Aspekt taucht nämlich nur in wenigen Werbebroschüren auf, vielleicht auch, weil er sich nicht so einfach illustrieren lässt: Ob jemand aus privilegierten Verhältnissen stammt oder ohne viel Geld und eine gebildete Familie aufgewachsen ist, sieht man nicht unbedingt auf den ersten Blick. Und doch hat das Elternhaus großen Einfluss darauf, welchen Lebensweg jemand einschlägt und ob er oder sie die Möglichkeit hat, erfolgreich im Beruf zu sein.

Soziale Herkunft ist ein oft übersehenes Karrierehindernis

Der "Chancenmonitor" des ifo-Instituts zeigt: Nur ein gutes Fünftel der Kinder, deren Eltern kein Abitur haben und zusammen weniger als 2600 Euro netto im Monat verdienen, besuchen ein Gymnasium. Bei Kindern, deren Eltern Abitur und ein Haushaltseinkommen von mehr als 5500 Euro netto haben, sind es 80 Prozent. Zudem gehen mit Privilegien oft nicht nur gute Zeugnisse einher, sondern auch Selbstsicherheit und wertvolle Kontakte, die den Start ins Berufsleben erleichtern. Intelligenz und Fleiß hin oder her: Die Erzählung vom sozialen Aufstieg entpuppt sich in Wahrheit oft als Mythos.

"In der deutschen Leistungsgesellschaft ist gerade die soziale Herkunft ein oft übersehenes Karrierehindernis", sagt Franzi von Kempis. Sie ist Geschäftsführerin der Charta der Vielfalt, einer Initiative, mit der sich 5000 Arbeitgebende hierzulande für ein wertschätzendes und vorurteilsfreies Arbeitsumfeld aussprechen. Wer die Charta unterzeichnet, erklärt damit auch, Mitarbeitende unabhängig von Alter, ethnischer Herkunft oder Nationalität, Geschlecht und geschlechtlicher Identität, körperlichen und geistigen Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung oder sexueller Orientierung zu unterstützen. Vor zwei Jahren ergänzte die Organisation die Charta um eine weitere, siebte Vielfaltsdimension: die soziale Herkunft.

Dass es so weit kam, liegt auch an Natalya Nepomnyashcha. Wie Plotnykova stammt sie aus der Ukraine, wuchs dort in Armut auf, als Teenager kam sie mit den Eltern als Kontingentflüchtling nach Augsburg. Die Familie lebte fortan von Hartz IV. Und obwohl die Tochter gute Noten schrieb, fand sie sich erst über Umwege an einer Uni und später im Berufsleben wieder. "Mir fehlte es an Selbstvertrauen, aber auch an einem Sicherheitsnetz, das mich hätte auffangen können", sagt sie.

Was Unternehmen ändern können

Inzwischen arbeitet Nepomnyashcha bei der Unternehmensberatung EY – ein sozialer Aufstieg, vermeintlich wie aus dem Bilderbuch. Doch gerade weil sie weiß, dass sie eher eine Ausnahme als die Regel ist, hat sie 2016 neben ihrem Hauptjob das "Netzwerk Chancen" gegründet. Mit der gemeinnützigen Initiative bietet sie jungen Erwachsenen kostenlose Workshops, Kontakte zu Mentor:innen oder Einzelcoachings an. Mehr als 2000 Menschen gehören bereits zum Netzwerk, darunter auch Olga Plotnykova. "Wer mit Nachteilen in die Bildungslaufbahn startet, braucht sein Leben lang Förderung", glaubt Nepomnyashcha. Doch seit sie eines ihrer erklärten Ziele erreicht hat und soziale Herkunft als Vielfaltsdimension gilt, tue sich etwas bei den Arbeitgebern. "Die Unternehmen sind inzwischen viel mehr für das Thema sensibilisiert."

Zu diesen Firmen gehört die Bank BNP Paribas. "Wir machen das nicht aus Wohltätigkeit, sondern weil wir tolle Leute für unser Unternehmen gewinnen wollen", sagt Eva Voß, die für Diversity & Inclusion verantwortliche Personalmanagerin. Bei der Bank gilt genau wie in vielen anderen Branchen: In Zeiten fehlender Bewerber:innen können es sich Unternehmen nicht erlauben, sich vor ganzen Gruppen potenzieller Mitarbeitender zu verschließen. Um Interessierte nicht schon vorab zu entmutigen, hat die Bank etwa ihre Stellenanzeigen geändert. "Du erfüllst nicht alle Anforderungen? Kein Problem, bewirb dich gerne trotzdem", steht jetzt dort.

In einem Tandemprogramm bringt die Bank Studierende und junge Berufstätige aus finanziell benachteiligten Familien mit Mitarbeitenden zusammen, die teils selbst Arbeiterkinder sind. "Dabei öffnen sich auch unsere Mitarbeitenden und sprechen über ihre Herkunft", sagt Voß. Noch habe man zwar keine Teilnehmer:innen des Programms eingestellt, "wir bleiben aber in Verbindung."

Netzwerk-Chancen für soziale Aufsteiger:innen

Für soziale Aufsteiger:innen kann das eine wertvolle Erfahrung sein. Denn typisches Networking empfinden viele als stressig: Mit einem Sektglas in der Hand über den nächsten Skiurlaub zu sprechen, ist schnell unangenehm, wenn man weder mit Empfängen aufgewachsen ist, noch das Geld für Ferien in St. Moritz hatte. Auch Olga Plotnykowa kennt solche Momente. "Wenn ein Gespräch an der Kaffeemaschine oder in der Kantine entsteht, nehme ich oft keinen Kaffee, weil ich nicht sicher bin, ob man die Unterhaltung überhaupt unterbrechen kann, um ein Getränk zu holen", sagt sie.

Seit drei Jahren arbeitet Olga Plotnykowa, die heute in Rostock lebt, für den Versicherer HDI. Als sie dort im Kundenservice begann, brach gerade die Corona-Pandemie aus und das Networking verlagerte sich ins Digitale. Über das "Netzwerk Chancen" hatte sie gelernt, sich im eigenen Unternehmen möglichst sichtbar zu machen. Also teilte Plotnykova ihre Ansichten auf LinkedIn, schrieb Kolleg:innen aus der Zentrale der Firma an, traf sie zum virtuellen Kaffee-Date. "Ich habe online weniger Scheu, Kontakte zu knüpfen, als jemanden an einem Stehtisch anzusprechen", sagt sie.

Ihr Mut zahlte sich schnell aus: In nicht mal drei Jahren arbeitete sie sich bei HDI von der Mitarbeiterin im Kundenservice zur IT-Führungskraft mit 18 Mitarbeitenden hoch. "Darauf bin ich stolz, weil ich mir alle Kontakte selbst erarbeitet habe", sagt sie. Ihr Hintergrund, glaubt sie, mache sie zu einer Chefin, die sich anpassen kann, aber auch emphatisch und mit Interesse für ihre Mitmenschen an die Arbeit geht. "Vielleicht kenne ich nicht alle Spielregeln, aber habe eigene Stärken, für die ich auch geschätzt werde." Tatsächlich gelten soziale Aufsteiger:innen auch als durchsetzungsstarke Führungskräfte, heißt es bei der Charta der Vielfalt.

Ihre Herkunft verschweigen will Olga Plotnykova nicht. "Wer ehrlich darüber spricht, bringt andere zum Nachdenken", ist sie überzeugt. Geht es an Stehtischen um Skiurlaube, bringe sie inzwischen ihre eigenen Erlebnisse ein – "ein bisschen provokativ", wie sie lächelnd sagt. Als Kind sei sie nämlich auch manchmal Ski gefahren: auf einem Hügel, in alter Kleidung, auf gebrauchten Skiern. Den Lift habe sie sich mit Unterstützung ihrer Nachbarn einfach selbst gebaut.

Hier gibt’s Unterstützung für soziale Aufsteiger:innen

Natalya Nepomnyashcha
Natalya Nepomnyashcha unterstützt mit "Netzwerk Chancen" Kinder aus finanzschwachen und nicht akademischen Familien.
© Netzwerk Chancen / PR

Das "Netzwerk Chancen" von Natalya Nepomnyashcha richtet sich an junge Erwachsene mit und ohne Abitur und bietet Mentoring, Workshops und Coaching an. Interessierte Berufseinsteiger:innen können sich kostenlos auf netzwerk-chancen.de registrieren.

Die 2008 von Katja Urbatsch gegründete Organisation ArbeiterKind.de richtet sich speziell an Menschen, die als erste in ihrer Familie studieren. Rund 6000 Ehrenamtliche, die selbst aus Nichtakademiker-Familien stammen, informieren in lokalen Gruppen über Ablauf und Finanzierung eines Studiums und berichten über eigene Erfahrungen. Auf netzwerk.arbeiterkind.de kann man selbst Teil des Netzwerks werden.

Die "Swans Initiative" unterstützt im deutschsprachigen Raum aufgewachsene Studentinnen und junge Akademikerinnen mit Einwanderungsgeschichte, Schwarze Frauen und Women of Color mit Seminaren, Coaching und Mentoring. Auch hier gibt es ein Netzwerk, unter swans-initiative.de kann man sich dafür bewerben.

Brigitte

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