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Svenja Hinderer entwickelt synthetische Herzklappen, um Kindern unnötige Operationen zu ersparen

Svenja Hinderer will kleinen Herz-Patienten Operationen ersparen
© Annette Cardinale
Svenja Hinderer ist Expertin für "Tissue Engineering" - die Entwicklung künstlichen Gewebes. So will sie kleinen Herz-Patienten Operationen ersparen

Wenn Svenja Hinderer über ihre Arbeit redet, klingt das futuristisch, wie in einem Science-Fiction, in dem die Organe eines Menschen durch künstliche, technisch verbesserte Ersatzteile ausgetauscht werden. Sie spricht von der extrazellulären Matrix des menschlichen Körpers, der Technik des Elektrospinnens und der Bio-Kompatibilität eines Materials. Die Chemikerin arbeitet in Stuttgart am Fraunhofer-Institut. Sie hat eine synthetische Herzklappe entwickelt, die Kindern mit angeborenem Herzfehler viele Operationen ersparen könnte.

Ihr Wunsch war es schon immer anderen zu helfen

Pro Jahr werden in Deutschland etwa 30.000 Klappen eingesetzt. Svenja Hinderer, 32, hat sich einige solcher Herz-Operationen angesehen, "weil ich wissen wollte, wie das abläuft". Viele der Patienten waren nur wenige Monate alt. "Manchmal muss ein Kind direkt nach der Geburt in den OP, weil es sonst keine Überlebenschance hat." Schlimm sei das, sagt Hinderer, und dass sie froh sei, nicht der verantwortliche Chirurg zu sein. "Nicht, weil ich mich vor dem Blut ekele, sondern weil mir das Leid und die Angst der Familie sehr bewusst sind."

Die Patienten bekommen einen biologischen Ersatz, etwa eine Herzklappe vom Schwein, oder eine mechanische Nachbildung eingesetzt. Beide Implantate müssen nach einigen Jahren wieder ausgetauscht werden. "Die biologischen Implantate halten etwa 15 Jahre, die mechanischen vielleicht 25 Jahre", sagt Hinderer. Kinder müssen sich sogar alle zwei bis drei Jahre am Herzen operieren lassen – bis sie ausgewachsen sind, denn die Implantate wachsen nicht mit.

Svenja Hinderer sagt, dass sie schon als Schülerin im schwäbischen Nürtingen den Wunsch gehabt habe, mit ihrer Arbeit anderen Menschen zu helfen. Zum Medizinstudium reichte ihre Abiturnote nicht. Also studierte sie in Reutlingen Angewandte Chemie, spezialisierte sich auf Biomaterialien und regenerative Medizin. In ihrem Forschungsgebiet "Tissue Engineering" werden künstliche Gewebe entwickelt, die mit dem menschlichen Körper harmonieren.

Die Herzklappe hat alle Anforderungen erfüllt

Während ihrer Promotion begann Hinderer, nach einem neuen Klappenersatz zu suchen. "Das Regenerationspotenzial des Körpers ist ziemlich groß. Ich habe mich gefragt, wie ich ein Organ daran erinnern kann, was es zu tun hat." Sie entwickelte ein Implantat aus proteinähnlichen Fasern, das sich im Körper langsam abbaut und gleichzeitig die menschlichen Zellen dazu animiert, eine eigene Klappe zu produzieren. Am Ende dieses Prozesses steht eine funktionierende, natürliche Herzklappe; ein Organ, das bei Kindern mitwachsen kann.

Außerhalb des menschlichen Körpers glückte das bereits. "Die Herzklappe hat alle Anforderungen erfüllt, sie hält auch dem Druck stand, dem sie im Körper ausgesetzt wäre." Jetzt geht es darum, das Implantat in Tierversuchen zu testen, danach müssen Studien mit Patienten folgen. Zurzeit beantragt Hinderer Geld für die Finanzierung der Versuche. Das alles kann Jahre dauern. "Ich bin eigentlich ein schrecklich ungeduldiger Mensch", sagt Hinderer. "Aber ich habe gelernt, dass man in der Wissenschaft in kleinen Schritten denken muss."

Die Zukunft hält noch vieles bereit

In dieser Phase des Wartens arbeitet die Forscherin bereits am nächsten Projekt: Das biochemische Material ihres Implantats kann auch bei Verletzungen der Haut zum Einsatz kommen oder im Bereich der Brustrekonstruktion helfen. Svenja Hinderer ist zuversichtlich: Irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft werden die Ergebnisse ihrer Forschung zum medizinischen Alltag gehören.

BRIGITTE 3/2018

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