Anzeige

Silke Stremlau Warum grüne Finanzanlagen so wichtig sind

Grüne Finanzanlagen
© Robert Kneschke / Adobe Stock
Wie bekommt man Unternehmen dazu, nachhaltiger zu werden? Silke Stremlau weiß es. Als Studentin kettete sie sich an Atommülltransporte, heute berät sie die Bundesregierung zu grünen Finanzen.
Silke Stremlau
Silke Stremlau, 47, ist seit 2022 Vorsitzende des Sustainable-Finance-Beirats der Bundesregierung. 34 Vertreter:innen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Finanzen und Gesellschaft arbeiten hier ehrenamtlich und parteiunabhängig an Fragen zu nachhaltigen Finanzen. Seit 2019 ist Stremlau außerdem im Aufsichtsrat der UmweltBank. Sie lebt am Rande von Hannover und ist Mutter eines Sohnes.
© Jürgen Heinrich / imago images

BRIGITTE: Wenn ich mein Geld in Fonds oder ETFs anlege, kann ich nachschauen, in welche Unternehmen mein Geld fließt. Aber wie ist das beim Sparkonto? Spielt Nachhaltigkeit da auch eine Rolle?

Silke Stremlau: Auf jeden Fall, denn wenn wir von nachhaltiger Geldanlage sprechen, geht es immer darum, wo das Geld hinfließt. Banken nutzen das Geld, das Kund:innen bei ihnen einlagern, um neue Kredite zum Beispiel an die örtliche Wirtschaft zu vergeben. Und die können mehr oder weniger nachhaltig sein: ein Kredit für eine Solaranlage bei einem Handwerksbetrieb oder für ein weniger nachhaltiges Projekt, etwa einen neuen Schweinemastbetrieb. Wer auf der sicheren Seite sein will, sollte sein Sparkonto bei einer Bank mit nachhaltigem Geschäftsmodell haben– die veröffentlichen mitunter sogar alle Kredite, die sie vergeben.

Sie beschäftigen sich schon seit Ihrer frühen Jugend mit umweltpolitischen Fragen. Was hat so früh Ihr Interesse daran geweckt?

Das kommt bei mir klar aus der Biografie. Ich bin 1976 geboren. Als ich in der vierten Klasse war, ist der Reaktor in Tschernobyl hochgegangen. Mitten in Europa wurde eine ganze Region verseucht und auch bei uns im Münsterland hatte das Folgen. Ich durfte auf einmal nicht mehr draußen spielen und Pilze haben wir auch nicht mehr gekauft. Meine Eltern hatten Angst vor etwas, das wir nicht sehen, fühlen oder riechen konnten, nämlich vor gefährlicher Strahlung. Es fiel ständig das Wort Super-GAU. Verstanden habe ich das mit zehn Jahren nicht, aber ich erinnere mich an die Einschnitte in meinem Alltag.

Sie haben sich schon als Jugendliche dafür entschieden, politisch aktiv zu werden. War das Tschernobyl-Trauma da ausschlaggebend?

Ja und nein. Meine Eltern waren keine Ökos, aber es gab bei uns in der Familie schon die Überzeugung, dass jeder etwas tun kann, wenn etwas schiefläuft. Mit 13 Jahren, 1989, hat mich dieser ganze Verpackungsmüll genervt. Ich habe einen Zettel am Schwarzen Brett in der Schule aufgehangen, "Wer will mit eine Umweltgruppe gründen?" Ein paar Schulfreunde haben sich gemeldet, nach kurzer Zeit hatten wir mehr als 1.000 Unterschriften beisammen und haben die Listen gegen Müll den Leitungen der drei örtlichen Supermärkte überreicht.

Sie haben Umweltwissenschaften in Oldenburg studiert und ein Praktikum bei Greenpeace absolviert. Da wurde es ungemütlicher, oder?

Schon in meiner ersten Praktikumswoche habe ich mich mit einigen Greenpeace-Kolleg:innen im strömenden Regen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in Emden an einen Atommüllfrachter gekettet. Das war ganz schön aufregend, allerdings recht schnell wieder vorbei. Nach kurzer Zeit war schon die Polizei im Hafen, hat uns abkettet und unsere Personalien aufgenommen. Trotzdem war das mediale Echo groß: Die "Tagesschau" und die "heute"-Nachrichten haben eine Aufnahme gezeigt, in der ich angekettet am Frachter hänge. Ich war richtig stolz und habe direkt meine Eltern angerufen. Die dachten erst, ich hätte vielleicht ein Interview gegeben. Ne, ich hänge da an einem Frachter – da waren sie einigermaßen schockiert. (lacht)

Dass eine Umweltaktivistin, die sich an Atommüllfrachter kettete, heute die Bundesregierung zu Finanzfragen berät, ist bemerkenswert. Wann gab es den Sinneswandel?

In meinen ersten Berufsjahren bei der Nachhaltigkeitsagentur "Imug" habe ich gelernt, dass man bei Unternehmen auch viel bewegen kann, ohne sich ans Werkstor zu ketten. Investoren haben richtig viel Macht, und zwar im Guten, wenn ihnen die Einhaltung von Umwelt-, Klima- und sozialen Standards wichtig ist. "Imug" prüft börsennotierte Unternehmen und erstellt ESG-Ratings, an denen sich Investor:innen orientieren, wenn sie ihr Geld gezielt in nachhaltige Unternehmen lenken wollen. 15 Jahre war ich dort, dann bin ich als Vorständin zu den Hannoverschen Kassen gewechselt. Das ist eine Pensionskasse mit streng nachhaltigen Richtlinien, ich habe dort also die Sichtweise der nachhaltigen Investorin kennengelernt.

Es ging also bei Ihnen beruflich immer um die Frage: Wie geht nachhaltiges Investieren?

Genau. Den Vorstandsposten habe ich nach fünf Jahren im Sommer 2023 sogar abgegeben, weil ich mich ganz dem Thema widmen wollte. Jetzt darf ich als Fellow der Mercator-Stiftung ein Jahr lang daran forschen, wie man sicherstellen kann, dass Initiativen wie der Sustainable-Finance-Beirat zu dauerhaften Veränderungen führen.

Wer das Werkstor blockiert, hält den Betrieb auf und lenkt viel Aufmerksamkeit auf die Sache. Können wir mit unseren privaten Investitionen wirklich einen ähnlichen Impact haben?

Definitiv! Wenn ich beispielsweise Aktien besitze, gehört mir ein Teil des Unternehmens und ich darf mitbestimmen. Klar, je mehr Aktien, desto gewichtiger wird meine Stimme. Aber Aktien besitzen ist kein Roulettespiel. Auch Privatanleger:innen mit wenigen Anteilen können eine Aktionärsversammlung besuchen und gegen Entscheidungen stimmen. Oder ihre Stimmrechte an Nichtregierungsorganisationen wie die Kritischen Aktionär:innen übertragen. Die bündeln Stimmrechte und können so größeren Einfluss nehmen bei den Unternehmen.

Und wenn ich Aktien eines US-Unternehmens halte? Oder Anteile an einem Fonds besitze? Dann dürfte das nicht funktionieren.

Richtig. Deshalb lohnt es sich, in Fonds nachhaltiger Banken zu investieren und darauf zu achten, dass sie eine sogenannte Engagement-Strategie haben: Tritt das Fondsmanagement aktiv in den Dialog mit Unternehmen, die im Portfolio sind, und fordert mehr Nachhaltigkeit ein? Spricht die Bank, die den Fonds aufgelegt hat, mit Unternehmen, die es nicht in den Fonds geschafft haben, und arbeitet gemeinsam mit ihnen die Probleme auf? Dieses Engagement findet in Hintergrundgesprächen statt, es geht nicht darum, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen. Die Idee dahinter ist: Wer nicht öffentlich anklagt, hat mehr Einflussmöglichkeiten. Es ist also eher eine Art von Diplomatie.

Diplomatie und Verhandlungsgeschick brauchen Sie sicherlich auch im Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung …

Das können Sie laut sagen. Manchmal sitzen 70 Leute an einem Tisch. Dann diskutieren die Mitglieder des Beirats mit Mitarbeitenden aus Finanz-, Umwelt und Wirtschaftsministerium beispielsweise, welche regulatorischen Vorhaben wirkungsvoll sind oder welche Finanzierungsarten die Wirtschaft nachhaltiger machen. Oder wir schauen auf die Wirksamkeit der EU-Taxonomie, die ja dazu beitragen soll, dass möglichst viel Geld in nachhaltige wirtschaftliche Aktivitäten fließt.

Über Regulierungsvorhaben zu diskutieren … Klingt ganz schön trocken.

Was es interessant macht, ist das Vertrauensverhältnis, das sich entwickelt. Jeder weiß: Wenn der Beirat eine Position vertritt, sind viele Perspektiven eingeflossen, von Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Das macht es wahrscheinlicher, dass unsere Ergebnisse auch in der Gesellschaft mehrheitsfähig sind. Ministeriumsvertreter:innen bekommen von uns den Blick aus der Realität, den sie sonst nicht kriegen, ungefiltert – und ohne Lobbyinteressen.

Gerade arbeiten Sie an einem staatlichen Gütesiegel für Finanzprodukte, so ähnlich wie der Nutri-Score auf Lebensmitteln. Warum brauchen wir das?

Es ist wirklich schwierig durchzublicken: Welcher Fonds ist nachhaltig? Was ist Greenwashing? Wie schneiden die Fonds im Vergleich ab? Es gibt zwar viele Rankings, aber bisher kein einheitliches staatliches Gütesiegel für alle Finanzprodukte. Das wollen wir ändern und arbeiten an einer ESG-Skala, die EU-weit die Nachhaltigkeit von Finanzprodukten von eins bis sieben beurteilen soll. Egal ob Sparbuch, Fonds oder Girokonto: Jede:r soll auf den ersten Blick erkennen und vergleichen können, ob und wie nachhaltig das Produkt ist. 2024 sind Europawahlen und wir hoffen, dass es danach in die Umsetzung geht. Politik machen heißt, dicke Bretter bohren, deshalb ist das nicht ganz einfach. Aber wir bleiben dran.

Tipps von Silke Stremlau

Nachhaltige Fonds: Das Finanztest-Rating der Stiftung Warentest hat im September 2023 Nachhaltigkeitsfonds geprüft. Das ist eine zuverlässige und aktuelle Informationsquelle (test.de). Außerdem gibt das FNG-Siegel Aufschluss darüber, wie grün ein Fonds wirklich ist (fng-siegel.org).

Nachhaltige Konten: Der Fair-Finance-Guide bewertet jährlich Banken wie Sparkassen, Volksbanken und Geschäftsbanken anhand ihrer nachhaltigen Kriterien und deren Umsetzung (fairfinanceguide.de). Mein persönlicher Tipp: Bei einer Nachhaltigkeitsbank sind Kund:innen bestens aufgehoben.

Nachhaltig schlauer werden mit der BRIGITTE Academy

Auch in der Masterclass Finanzen der BRIGITTE Academy geht’s um grüne, faire Geldanlage – und noch viel mehr: Vier unabhängige Expertinnen teilen im Online-Video-Kurs ihr Wissen, von der persönlichen Bestandsaufnahme über erste Investitionen in Aktien und ETFs bis zu Immobilien und Geld in Familie und Partnerschaft. Das Programm ist auf acht Wochen angelegt, danach bleiben die Inhalte aber freigeschaltet. Außerdem gibt es gemeinsame Online-Live-Sessions, in denen die Expertinnen Fragen beantworten, Treffen in Kleingruppen und ein persönliches Workbook.

Nächster Start: 27. Mai, Aktionspreis: 499 Euro, Infos und Anmeldung: www.brigitte.de/masterclass

Brigitte

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel