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Gründung im Öko-Bereich Deshalb gründen Frauen meistens grün

Frau sitzt am Computer und lacht
© baranq / Adobe Stock
Wenn Frauen gründen, dann auffallend oft im Öko-Bereich. Denn Geld verdienen lässt sich da durchaus – gerade jetzt.

An diesem Tag ist in der Küche doch tatsächlich das Gemüse ausgegangen. Sonst sei es immer schier endlos vorhanden, heute war nur noch etwas Spinat übrig, sagt Judith Stiegelmayr. "Also mussten wir improvisieren." In der "Community Kitchen" im Münchner Südosten gab es dann Börek, türkische Teigtaschen mit Käse und dem restlichen Spinat. Auch gut. Stiegelmayr sitzt im Gastraum der ehemaligen Kantine des Versicherers Allianz, deren Küche sie mit ihrem Team nutzt. Die alten Möbel sind bunt zusammengewürfelt, Behördenatmosphäre trifft auf Hipster-Charme. Die 35-Jährige deutet auf einen Transporter, der draußen vor dem Eingang parkt: "Da ist unser Nachschub drin."

Mit ihrer Geschäftspartnerin Günes Seyfarth, 43, hat Stiegelmayr vor zwei Jahren die "Community Kitchen" gegründet. Das warme Mittagessen, das sie hier verkaufen, die Kuchen und die Smoothies, die über die Ladentheke gehen, bereiten sie mit ihrem Team fast ausschließlich aus geretteten Lebensmitteln zu. Selbst die Tulpen, die auf dem Tisch stehen, haben sie vor der Tonne bewahrt.

Für die beiden Gründerinnen war die Lebensmittelverschwendung hierzulande der Antrieb, ihr Geschäftsmodell zu entwickeln. Sie gehören zu den auffallend vielen Frauen in der Start-up-Szene, die mit ihren Firmen nicht nur Geld verdienen, sondern auch Wirtschaft und Gesellschaft umweltfreundlicher machen wollen – etwa durch Produkte oder Dienstleistungen, die Müll reduzieren oder Tierleid vermeiden, oder durch technische Innovationen, die dabei helfen sollen, das Klima zu schützen. Fast jede:r vierte Gründer:in eines solchen "grünen Start-ups" ist aktuell weiblich, zeigen die Zahlen des Green Startup Monitors von 2022. Bei den übrigen Gründungen liegt der Frauenanteil mit 18 Prozent deutlich niedriger. Dazu passt, dass laut Female Founders Monitor 89 Prozent aller Gründerinnen viel Wert darauflegen, dass ihr Geschäftsmodell gesellschaftliche oder ökologische Wirkung zeigt. Ihren männlichen Pendants ist das mit 74 Prozent nicht ganz so wichtig.

Klimaschutz zum Mittagessen

Die Männer sammeln in weißen Sneakern das große Geld von Investor:innen ein, während die Frauen versuchen, die Welt zu retten? Das klingt nach einem Klischee – und treffe so pauschal nicht zu, sagt Karin Kreutzer, Professorin für Social Business an der EBS Universität. "Auch viele grüne Start-ups sind marktorientiert und zielen darauf ab, Geld zu verdienen." Was sie eint, sei aber eine Motivation, die über reine Profitorientierung hinausgehe: "Die Gründerinnen wollen Lösungen für gesellschaftliche Probleme entwickeln."

So ist das auch bei Judith Stiegelmayr und Günes Seyfarth von der "Community Kitchen". Allein in den Privathaushalten in München, wo das Start-up sitzt, werden jeden Tag fast 170 000 Kilogramm verzehrfertige Lebensmittel weggeworfen. Etwa genauso viel entsorgen auch die Märkte, Produzierenden und Lebensmittelläden der Stadt, und darauf haben es die Gründerinnen abgesehen. Sie beziehen Gemüse, Brot, Milchprodukte, Fleisch oder Fisch von Händlerinnen auf dem Großmarkt, Erzeugern oder Supermärkten – und zwar nicht "die eine braune Banane, sondern erst neulich wieder 45 Paletten Joghurt", wie Stiegelmayr erklärt.

Manchmal wollen die Händler:innen ihre Lager verkleinern, manchmal ist eine Überproduktion bei den Erzeuger:innen der Grund, warum sie Lebensmittel wegwerfen. "Indem wir sie retten, sparen wir Ressourcen, die entlang der gesamten Wertschöpfungskette entstehen", sagt Seyfarth, die schon mehrere Start-ups gegründet hat, unter anderem die Secondhand-Plattform "Mamikreisel". Jetzt serviert sie Klimaschutz zum Mittagessen. Die Lebensmittel bekommt sie von den Partner:innen kostenlos zur Verfügung gestellt, die dafür Müllgebühren sparen. Gleichzeitig entstehen Kosten an anderer Stelle, etwa beim Transport, Lagern und Verarbeiten. Mit ihrem Essen aus geretteten Lebensmitteln müssen die Gründerinnen nicht nur ihre Kosten decken, sondern wollen auch Geld verdienen. "Man muss wirtschaftlich arbeiten, wenn man ein soziales Thema vorantreiben möchte", sagt Stiegelmayr. Die Mittagsgerichte in der ehemaligen Kantine gehen für maximal 6,80 Euro über den Tresen. Dort essen Berufstätige aus den nahe gelegenen Bürokomplexen, Senior:innen und Familien, aber auch Anwohner:innen aus Neuperlach, einem der weniger privilegierten Münchner Stadtteile. Das Team umfasst inzwischen 35 Mitarbeitende und einige Ehrenamtliche, die jedoch nicht alle in der Küche arbeiten. In den Räumen neben der "Community Kitchen" betreiben die Gründerinnen auch noch ein offenes Kreativzentrum und klären Jugendliche über Lebensmittelverschwendung auf.

Von Frauen für Frauen

So weit sind Ines Schiller und Melanie Schichan mit ihrem zweiköpfigen Team bei "Vyld" noch nicht: Die Berlinerinnen möchten einen Tampon aus einem aus Algen gewonnen Extrakt auf dem Markt bringen und tüfteln noch an ihrem Produkt. Als Gründerin Schiller, heute 35, sich während eines Aufenthalts in Südafrika zum Marine-Guide ausbilden ließ, habe sie "die Power der Meeresalge entdeckt", so erzählt es ihre Geschäftspartnerin Schichan, 33, im Zoom-Gespräch. "Meeresalgen binden CO2 und Stickstoff, produzieren Sauerstoff und sind von Natur aus absorbierend."

Die Idee, das Naturmaterial als Menstruationsprodukt zu nutzen, war geboren: Aus Tampon mach Tangpon. Vor zwei Jahren gründeten Schiller und Schichan "Vyld" und entwickeln seitdem ein Produkt, das gleichermaßen nutzer:innenfreundlich und klimaschonend sein soll. "Unser Ziel ist es, dass der Tangpon innerhalb von sechs bis acht Wochen biologisch abbaubar ist", sagt Schichan. Das wäre ein Vorteil gegenüber vielen konventionellen Tampons, die zum Teil Kunststoff enthalten und daher nicht ganz abbaubar sind.

Der Tag, an dem aus den Algen ein fertiges Produkt im Handel wird, rückt für die Gründerinnen immer näher. So sieht es ihr Zeitplan jedenfalls vor: Diesen Sommer sollen alle, die 2022 an ihrer Crowdfunding-Kampagne teilnahmen, die Chance bekommen, sich selbst vom Tangpon zu überzeugen. "Das Feedback soll direkt in die Entwicklung miteinfließen", sagt Melanie Schichan. "Wir hoffen dann, Ende des Jahres produzieren und nächstes Jahr mit dem Verkauf starten zu können."

So will Laura Gertenbach den Markt erobern: Fleisch aus dem Labor

Um ein völlig neues Produkt entwickeln zu können, braucht es einen langen Atem – und Geld. Diese Erfahrung macht auch Laura Gertenbach, 38, die zusammen mit ihrem Mitgründer Patrick Inomoto an einer Technologie für Fleisch aus dem Labor feilt, für "Innocent Meat", wie das Start-up aus Rostock heißt. Die Gründerin kommt selbst aus einer Landwirtsfamilie. "Ich bin Fleischliebhaberin, und die Ersatzprodukte aus Erbsenproteinen schmecken mir einfach nicht", sagt sie. Doch Tiere möglichst qualfrei zu schlachten sei teuer und aufwendig; das habe sie gemerkt, als sie vor einigen Jahren selbst eine Online-Vermarktungsplattform für Freilandfleisch gründete. Schlecht fürs Klima ist die Fleischproduktion sowieso.

Bei sogenanntem kultiviertem Fleisch soll das anders sein: "Erste Studien zeigen, dass beim kultivierten Schweinefleisch gegenüber dem konventionellen 70 bis 72 Prozent an CO2-Emissionen eingespart werden", sagt Gertenbach. Um Fleisch im Labor herzustellen, kommen die tierischen Stammzellen mit einer Nährflüssigkeit in einen Bioreaktor, der den Tierkörper nachahmt. "Darin hat es die Zelle schön warm und entwickelt sich fort", erklärt Gertenbach. Noch arbeiten sie und ihr Mitgründer an dem Bioprozess, um möglichst viel Output zu liefern und die Kosten zu senken.

Um Investor:innen zu finden, die Geld in ein Start-up stecken, das noch nichts verdient, müsse man "wie ein Vertriebler viele Klinken putzen, um am Ende zwei, drei zu überzeugen", sagt sie. Bei der ersten Finanzierungsrunde vor zwei Jahren ist ihr das geglückt. Wie viel Geld sie damals genau zusammenbekam, möchte Gertenbach nicht verraten. Doch es reichte, um die Technologie hinter "Innocent Meat" entscheidend voranzutreiben.

Das sind ihre großen Pläne

"Für Gründerinnen und Gründer mit grünen Geschäftsmodellen ist es von Vorteil, dass der Klimaschutz zuletzt immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit und damit auch von Investoren gerückt ist", sagt Forscherin Kreutzer. Tatsächlich wird beispielsweise "Vyld" von einer Investmentfirma unterstützt, die explizit auf Start-ups setzt, die soziale und ökologische Probleme lösen wollen. Und trotzdem, glaubt Laura Gertenbach von "Innocent Meat": "Letztlich geht es den Investoren darum, möglichst schnell möglichst viel Geld zu verdienen." Entsprechend haben die grünen Gründerinnen große Pläne: Laura Gertenbach will ihre Technologie in den kommenden Jahren der Lebensmittelindustrie zur Verfügung stellen, damit das Fleisch aus dem Labor auch den Weg in die Supermärkte findet. Allerdings vorerst nicht in Europa, wo kultiviertes Fleisch anders als etwa in Singapur noch nicht zugelassen ist. Sie setzt zunächst auf die USA und Asien.

Auch Melanie Schichan und Ines Schiller von "Vyld" wollen weiterwachsen. "Auf lange Sicht möchten wir die Eigenschaften der Meeresalge auch für Produkte wie Windeln, Slipeinlagen oder Binden nutzen", sagt Schichan. In der "Community Kitchen" hingegen ist es mit der Expansion so eine Sache: Das Geschäftsmodell basiert darauf, dass viele Lebensmittel weggeworfen werden – ein Missstand, den Günes Seyfarth und Judith Stiegelmayr mithilfe von Workshops etwa für Schülerinnen und Schüler zugleich bekämpfen möchten. "Unser Wunsch wäre es, in 15 Jahren vom Markt geschmissen zu werden, weil es uns nicht mehr braucht", sagt Seyfarth. Und sie … gründet dann eben wieder ein anderes Unternehmen.

Du willst selbst grün gründen?

Hier gibt’s Unterstützung:

Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt fördert mit maximal 125 000 Euro pro Projekt bis zu fünf Jahre alte Start-ups, "die auf innovative und wirtschaftlich tragfähige Weise Lösungen für Umwelt, Ökologie und Nachhaltigkeit entwickeln": dbu.de/foerderung/green-start-up

Die Gründerplattform der Förderbank KfW und des Bundeswirtschafts-ministeriums bietet ein Mentoring für Gründer:innen mit grünen Ideen an: gruenderplattform.de/services/gruen

Nordrhein-Westfalen unterstützt in diesem und im nächsten Jahr grüne Start-ups aus NRW, um Prototypen für deren Ideen zu entwickeln und zu erproben: in.nrw/gruene-gruendungen-nrw

Brigitte

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