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Finanzielles Trauma Wenn Geld-Entscheidungen Angst machen

Frau hält Sparschwein in den Händen
© Monster Ztudio / Adobe Stock
Eigentlich wissen wir, was zu tun wäre, und trotzdem trauen wir uns nicht? Diese emotionale Barriere wird manchmal sogar "finanzielles Trauma" genannt. Was steckt dahinter?

Lina ist schwanger und hat sich mit ihrem Partner geeinigt, nach der Geburt des gemeinsamen Kindes ein Jahr Elternzeit zu nehmen. Danach wird sie erst mal in Teilzeit in ihre Firma zurückkehren, ihr Partner wird weiter Vollzeit arbeiten. Lina hat viele Finanzratgeber gelesen. Sie weiß, was diese Entscheidung finanziell für sie bedeutet und dass sie eine Kompensation mit ihm aushandeln müsste, denn die Elternzeit wird einen dämpfenden Effekt haben – auf ihre Karriere, ihr Einkommen, ihr Vermögen und ihre Rente. Allein: Sie traut sich nicht, das Thema anzusprechen. Und liest noch einen Finanzratgeber.

Woran liegt das? Angst? Falsches Money Mindset? Ungesunde Glaubenssätze?

In den USA werden Psychologie und Finanzen längst zusammengedacht. Dort prägte der Psychologe und Kognitionsforscher Dr. Galen Buckwalter den Begriff "Financial Trauma". Ihm war während einer Studie aufgefallen, dass diejenigen Menschen, die im Umgang mit Geld große Angst empfinden, dabei ähnliche Symptome zeigen wie Menschen, die unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden: etwa Nervosität, Freudlosigkeit, Konzentrationsstörungen.

Ein finanzielles Trauma, so der Wissenschaftler, könne entstehen, wenn Menschen mit finanziellem Stress nicht umgehen können – etwa durch einmalige gravierende finanzielle Verluste wie infolge einer Scheidung oder Kündigung oder durch einen dauerhaften finanziellen Mangel. "Financial Trauma" ist in den USA zum Buzzword geworden, in der "Financial Therapy Association" sind Fachleute unterschiedlichster Disziplinen vertreten, die es therapieren.

In Deutschland gibt es keine "Finanztherapie", weil sehr genau definiert ist, was ein Trauma ist und wer eine Therapie anbieten darf. Dennoch plädieren auch hierzulande Expert:innen wie die Diplompsychologin und Finanzcoach Monika Müller dafür, in finanziellen Fragen nicht nur den Verstand mit Bildungs- und Beratungsangeboten anzusprechen, sondern auch die Psyche in den Blick zu nehmen. Zu ihr kommen häufig Menschen wie Lina, die genau wissen, was sie tun müssten, es aber einfach nicht tun.

"Entscheidungen treffen wir mit Ratio, Intuition und Emotionen", sagt Monika Müller. "Wenn Menschen wissen, sie müssten etwas tun, dann spricht daraus die Ratio, vielleicht auch die Intuition. Die beiden arbeiten zusammen. Die Ratio ist das bewusste Denken. Die Intuition hat ihre Gewissheit aus der Erfahrung. Aber es gibt noch die Emotionen, und die sind oft gegenläufig zur Ratio. Also können wir davon ausgehen, dass, wenn eine Person weiß, was sie tun müsste, es aber nicht tut, die Lösung nicht in mehr Wissen oder mehr Informationen liegt, sondern darin, zu schauen, was in ihrer Psychodynamik sie zurückhält."

Emotionen und äußere Zuschreibungen

Häufig stößt Müller dabei auf emotionale Muster: "Bei uns allen entsteht ganz früh wie ein Fingerabdruck eine ganz eigene Beziehung zu Geld." Diese Beziehung sei geprägt von Projektionen, denn Geld sei eine ideale Projektionsfläche für all das, was Menschen nicht sein dürfen oder wollen: Es umgibt uns ständig und wehrt sich nicht gegen Zuschreibungen. Das können positive Projektionen sein, etwa: Geld ist Sicherheit. Geld ist Freiheit. Ambivalente wie: Geld ist Macht. Oder negative wie: Geld ist schmutzig. Geld ist aggressiv.

Gerade Mädchen und Frauen bekämen in ihrer Sozialisation gespiegelt, dass sie, um gemocht zu werden, nicht mächtig, aggressiv oder schmutzig sein dürften, sondern bescheiden, lieb und sauber sein müssten. Müller sagt: "Jeder ist aggressiv, lieb, leise, laut. Der eine mehr, der andere weniger, aber alles ist da. Um das Problem zu lösen, versuchen schon Kinder, das, was sie nicht sein dürfen, auf etwas anderes zu übertragen, zum Beispiel Geld."

Die Krux: Häufig sind diese Projektionen unbewusst und steuern aus dem Unterbewusstsein unser Handeln. Dieses emotionale Muster torpediert Verstand und Intuition und kann so zu schlechten Entscheidungen führen.

Frauen, die verinnerlicht haben, sie dürften nicht aggressiv oder mächtig sein, und die diese Attribute auf Geld projizieren, hebeln damit ihre Fähigkeit aus, sich für die eigenen finanziellen Belange einzusetzen. Ein höheres Gehalt zu verhandeln, mit dem Partner eine finanzielle Kompensation für die Kinderbetreuung zu vereinbaren oder ein Vermögen aufzubauen – das würde dann bedeuten, aggressiv aufzutreten oder mächtig sein zu wollen. "Das geht tiefer als jeder Glaubenssatz", sagt Müller. "Das sind Muster, die sich auf einer ganz tiefen, unbewussten Ebene abgelagert haben und die jede Entscheidung im Leben beeinflussen."

Coaching statt Therapie

Im Coaching öffnet sie ihren Klient:innen die Augen für ihre Projektionen. Ein häufiges Thema: Erbschaften. Die Klientin hat geerbt, sie weiß, sie müsste das Geld anlegen, kann sich aber einfach nicht dazu durchringen. Dann hinterfragt Müller mit ihr, was emotional an dem Erbe hängt. Das Coaching funktioniere allerdings nur dann, so Müller, wenn die Klient:innen eine gesunde Selbststeuerung und Reflexionsfähigkeit besäßen: "Damit bringen sie alles mit, was sie brauchen."

Auch Lina entdeckt im Coaching, dass sie besonders stark von einer Projektion gelenkt wird: Eigenes Geld bedeutet Unabhängigkeit. Weil eine finanzielle Kompensation durch ihren Partner bedeuten würde, Geld von einem anderen Menschen anzunehmen, hat sie Angst, dadurch von ihm abhängig zu werden. Und diese Angst lässt sie zaudern. Lina erkennt auch, dass die finanzielle Kompensation kein Almosen wäre, sondern eine faire Lösung, die sie auf Augenhöhe mit ihrem Partner aushandeln und in einem Vertrag festhalten würde. Ein Sparplan auf Linas Namen, bezahlt von ihrem Partner, würde sie dann nicht in begrenzende Abhängigkeit stürzen, sondern ihr im Gegenteil langfristig finanzielle Unabhängigkeit sichern. Und dadurch beide – wie in einer guten Partnerschaft angemessen – in eine gesunde Abhängigkeit bringen.

Sind Menschen allerdings traumatisiert, kommt das Coaching an seine Grenzen: "Wenn jemand eine posttraumatische Belastungsstörung hat, dann kriegt er oder sie allein wenn er an das Thema Geld denkt, schon Herzrasen, Schweißausbrüche, Albträume. Und dadurch ist die Selbststeuerung so runtergefahren, dass er oder sie erst mal in der Therapie Unterstützung braucht, um diese Selbststeuerung wieder so aufzubauen und zu entwickeln, dass dann eine Beratung oder ein Coaching weiterhelfen können", sagt Müller.

Nicht jedes "Finanzielle Trauma" ist gleich ein Trauma

Den Begriff "Finanzielles Trauma", wie er etwa in den USA gebraucht wird, sieht sie dabei kritisch: "Am Ende geht es nicht um das Finanzielle, sondern um das Trauma." Trauma sei Trauma, egal, woher es rühre. Es entstehe aus einer tiefen Verletzung und einem massiven Kontrollverlust. Etwa im Zuge der Lehman-Pleite, als viele Menschen von ihren Bankberatern wissentlich kriminell beraten wurden, habe dieser Betrug und der herbe Geldverlust viele Betroffene nicht nur in eine Vertrauenskrise gestürzt: "In der Folge haben einige ein Psychotrauma entwickelt und nach Jahren noch eine posttraumatische Belastungsstörung gehabt", sagt Müller.

Prof. Dr. Carmela Aprea, Wirtschaftspädagogin an der Universität Mannheim und Direktorin des Mannheim Institute for Financial Education (MIFE), untersucht gemeinsam mit anderen Forscher:innen, wie sich finanzielle Schocks infolge der Coronapandemie, des Ukraine-Kriegs und der immens gestiegenen Lebenshaltungskosten auf die Menschen auswirken. Ob ein objektiver finanzieller Schock auch subjektiv Stress auslöse, hänge davon ab, wie die Betroffenen damit umgehen könnten, sagt Prof. Aprea: "Wir wissen, dass finanzieller Stress die kognitive Leistungsfähigkeit stark einschränken kann. Ungünstige Bewältigungsstrategien wie Vermeidungsverhalten, übermäßiger Alkohol- oder Medienkonsum hemmen das lösungsorientierte Denken noch weiter. Man gerät in eine Abwärtsspirale und entwickelt einen ,Tunnelblick‘ . Hält der finanzielle Stress an, höhlt er das Gefühl der Selbstwirksamkeit aus." Betroffene fühlen sich hilflos und unternehmen wenig bis gar nichts mehr, um ihre Probleme zu lösen, weil sie gar nicht mehr daran glauben, dass sie dazu überhaupt in der Lage sind. "Langfristig drohen Depressionen und Suizidgedanken."

Mit der Diagnose "Trauma" ist Prof. Aprea vorsichtig: "Traumata sind ernst zu nehmende, schwierige Situationen, aber ich würde aufpassen, mit einem ,Modebegriff‘ zu hantieren und alles zu einem Trauma zu erklären. Sonst fühlen sich plötzlich alle Menschen traumatisiert, und das ist nicht sehr hilfreich, um Selbstwirksamkeit und Resilienz aufzubauen. Dann hat man eine Diagnose und fokussiert sich mehr auf die Krankheitsgeschichte als auf die Lösungsstrategien."

Dabei gebe es gerade bei finanziellen Problemen eine Reihe konkreter Maßnahmen. Kurzfristig: sich möglichst schnell Hilfe holen, etwa bei Freund:innen, Familie, einer professionellen Schuldnerberatung oder der Verbraucherzentrale. Langfristig und vorsorgend: die eigene finanzielle Situation analysieren, sich finanziell fortbilden, Schulden abbauen und einen Notgroschen und die Altersvorsorge aufbauen.

Brigitte

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