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Diversität bei Finanzen "Natürlich ist die Finanzbranche immer noch eine komplette Männerwelt"

Diversität bei Finanzen: Ein homosexuelles Paar schaut kritisch auf einen Laptop
© Astarot / Adobe Stock
Wie divers sind eigentlich Banken und Versicherungen? Wer queer ist oder eine andere Hautfarbe hat, wird oft benachteiligt oder sogar diskriminiert. Diese zwei Frauen treten für mehr Vielfalt an.

Kommt eine Unternehmerin mit Kopftuch in die Bank und will sich über ein Darlehen informieren. Fragt der Angestellte hinterm Schalter: "Und Ihren Mann haben Sie nicht mitgebracht?"

Kommt eine trans Frau zur Versicherung, um sich gegen Berufsrisiken abzusichern. Bekommt sie die Auskunft: "Bei uns leider nicht. Mit Ihren Lebensumständen könnten Sie ja in eine Depression fallen."

Kommt ein lesbisches Ehepaar zur Frauenärztin, weil es sich für eine künstliche Befruchtung interessiert. Freundlicher Hinweis: "Sie wissen aber schon, dass Sie die im Unterschied zu Hetero-Paaren selbst bezahlen müssen?"

Diversität in der Welt von Versicherungen und Finanzen: Für viele Menschen in Deutschland immer noch ein schlechter Witz. Nämlich dann, wenn sie nicht ins klassische weiße, deutschstämmige Vater-Mutter-Kind-Schema passen.

"Es reicht nicht, sich nur darüber aufzuregen", sagt Marie Christina Schröders, Gründerin von Adviris, einer Finanzberatung, die der LGBTQ+-Community und anderen benachteiligten Gruppen zur Seite steht. Eine von vielen Initiativen junger Frauen, die sich für mehr Vielfalt in der Branche einsetzen. Marie Christina Schröders lebt mit Frau und Kindern in Köln, ist ausgebildete Versicherungskauffrau, hat Marketing, Vertrieb und Steuerrecht studiert und mit ihrem Beratungsunternehmen "SaFiVe" bereits seit 2017 ein sicheres Standbein im Finanzmarkt. Warum dann noch "Aviris"? "Weil mir eine gezielte Beratung für LGBTQ+-Menschen schon lange ein Anliegen ist", sagt sie. "Damit unsere Community endlich sichtbar wird. Und ihre Hürden im Alltag verschwinden. Das fängt bei Formularen an, die meist nur die Zuschreibungen 'Mann' oder 'Frau' kennen. Seit der rechtlichen Gleichstellung der Geschlechter gibt es keinen Grund mehr, die Zugehörigkeit überhaupt abzufragen. Warum also keine Unisex-Formulare?"

Der Bedarf ist groß

Der Name "Adviris" setzt sich aus "advice" und "iris" zusammen – "Beratung" für den "Regenbogen". Ihr ständig wachsender Kundenstamm zeige, wie groß der Bedarf an Geldgesprächen auf Augenhöhe sei, sagt die Unternehmerin.

Etwa beim Thema Rechtsschutzversicherung: "Jetzt erst RECHT!" heißt ein Blog-Artikel auf ihrer Website. Der erklärt, das Bundessozialgericht habe zwar entschieden, dass lesbische Paare die Kosten für künstliche Befruchtung tatsächlich selbst tragen müssen. Dies sei aber eine Diskriminierung in Hinsicht auf die reproduktive Gesundheit der Frauen und mit finanzieller Absicherung allemal einen Rechtsstreit wert. Oder der Vermieter in Bayern, der sich mit Verweis auf seinen Glauben weigerte, eine Wohnung an ein homosexuelles Paar zu vermieten. Nicht nur ungerecht, sondern rechtswidrig. "Es sind vor allem solche rechtlichen Schritte, die helfen, Benachteiligungen öffentlich zu machen und das System strukturell zu verändern", sagt Schröders.

Und die Finanzbranche? Sei immer noch "hauptsächlich männlich, alt und weiß. Selbst bei Diversitätskongressen sitzt sie immer noch gern abends zusammen und klopft frauenfeindliche Sprüche. Aktuelle Debatten zum Thema Vielfalt werden von diesen Kreisen belächelt", sagt Schröders. Das Engagement für gesellschaftliche Inklusion sei oft nur äußerlich, sie nennt es "Pink Washing". Dabei sei die Regenbogen-Community auch wirtschaftlich ein riesiger Faktor. Die Studie eines Berliner Forschungsunternehmens mit mehr als 10 000 Menschen aus ganz Europa habe erst neulich gezeigt: Deutschland hat mit 7,4 Prozent die höchste Rate von Menschen, die sich nicht als heterosexuell definieren. "Diese Menschen in ihren Lebenssituationen abzuholen, ist privatwirtschaftlich ruck, zuck möglich. Da muss die Branche nicht auf die Politik warten. Sie kann selbst vorangehen. Und dabei queere Menschen zu einer ganz normalen Zielgruppe machen, wie etwa Ärzte und Rechtsanwälte, für die es auch spezielle Angebote gibt." Letztendlich sei Vielfalt immer auch eine Frage der sozialen Nachhaltigkeit, findet Schröders. "Es geht darum, in welcher Art von Gesellschaft wir leben und unsere Kinder großziehen wollen."

Alte Strukturen sind geblieben

"Natürlich ist die Finanzbranche immer noch eine komplette Männerwelt", das bestätigt auch Rukayyat Kolawole. "Männliche Hierarchien in Unternehmen, Chefs, die zusammen Golf spielen und dabei Geschäfte machen – immer noch die alten Strukturen. Und wenn tatsächlich mal jemand Gleichberechtigung anspricht, sind damit nur weiße Frauen gemeint. Intersektionalität – ein wirklicher Querschnitt der Gesellschaft, was Herkunft und Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Religion und Klasse angeht – bleibt unerwünscht."

Rukayyat Kolawole hat vor zwei Jahren "Pace Up Invest" gegründet, ein Fintech-Unternehmen, das vor allem die Rolle Schwarzer Frauen im Geldgeschäft stärken will. Mit mehr als 16 Jahren Erfahrung als Investmentbankerin in London, einem Master in Finanzen und Investment Management und zwei Diplomen der Mannheim Business School ist sie dazu bestens gerüstet. Heute lebt sie mit Mann und Tochter in Baden-Württemberg. Groß geworden ist sie in Nigeria, wo sie als Kind beobachtete, wie ihre Großmutter die anderen Frauen in ihrem Dorf finanziell unterstützte. "Sie handelte unter der Woche mit Gold aus Ghana. Jeden Freitag versammelte sie die Frauen unserer Gemeinschaft um sich und fragte jede: Brauchst du Geld? Kommst du zurecht? Ich beobachtete sie und lernte von ihr. Aber nicht nur von ihr. Unsere ganze Yoruba-Kultur wird von starken Frauen geprägt. Sie sind es, die das Geld kontrollieren, den Haushalt, die Politik. So bin ich aufgewachsen."

"Pace Up Invest" will Frauen jeder Herkunft darin unterstützen, ihre Finanzen selbstständig zu verwalten und nachhaltig anzulegen. Was bedeutet in diesem Zusammenhang nachhaltig? "Jederzeit Zugang zum eigenen Geld zu haben, finanziell stabil zu sein und auch anderen helfen zu können, wenn sie in Not sind." Die Werte der Großmutter.

Die Freiheit zur Unabhängigkeit

Rukayyat Kolawole war die erste Schwarze Frau an der Spitze eines Fintech-Unternehmens in Deutschland. Für die Gründung von "Pace Up Invest" musste sie einen Anwalt einschalten, erzählt sie. "Ich musste klarstellen, dass ich nicht die Frau fürs Kaffeekochen bin, sondern in England bereits stellvertretende Direktorin eines Finanz-Unternehmens war. Alle haben mir davon abgeraten, es in Deutschland zu versuchen. Aber ich kenne das Geschäft, ich kenne meine Stärken und ich bin gut darin, Netzwerke zu nutzen."

Zum Beispiel die Organisation "100 Women in Finance", wo sie im Vorstandskomitee darum kämpft, mehr nicht-weißen Frauen den Einstieg in die Branche zu ermöglichen. "Aber die gläserne Decke ist für Schwarze Frauen immer noch besonders dick. Wir werden nicht ernst genommen und abgewimmelt. Ich möchte Frauen die Freiheit geben, unabhängig zu sein und ihr Geld dort anzulegen, wo sie wertgeschätzt werden, egal, ob es um große Summen geht oder ganz kleine." Einer alleinerziehenden Mutter zum Beispiel, die neulich einen ihrer Workshops besuchte und sich anfangs schämte, weil sie so wenig über Geld und ihre Rentenansprüche wusste. "Also setzten wir uns gemeinsam an den Tisch: Wie viel wirst du brauchen? Was hast du schon? Die ganze Finanzbranche sollte so jede unterrepräsentierte Person willkommen heißen, ihr Selbstbewusstsein geben und einen geschützten Raum, um ihre Entscheidungen zu treffen."

Deutschland sei nicht annähernd dort, wo es in Sachen Diversität sein sollte, sagt sie. Das habe auch mit fehlenden Daten über benachteiligte Gesellschaftsgruppen zu tun. Beispiel: der Equal Pay Day. Er war in diesem Jahr am 7. März – das bedeutet: Der Lohnunterschied zwischen den Geschlechtern ist so groß, dass Frauen rein rechnerisch durchschnittlich 66 Tage ohne Lohn arbeiteten. Weiße, deutsche Frauen, genauer gesagt. Für Frauen mit Migrationshintergrund, für trans Personen, für Schwarze Menschen oder Menschen mit Behinderung sehe es aber mit Sicherheit noch schlechter aus. Zahlen dazu gebe es nicht. Die seien aber wichtig, sagt Rukayyat Kolawole: "Erst wenn klar wird, dass mein Problem nicht nur mein Problem ist, wird sich strukturell etwas ändern."

Der Weg der Veränderung in der Finanzwelt sei dagegen einfach: Mehr Frauen und mehr Randgruppen die Tür zu öffnen und die klügsten unter ihnen in Führungspositionen zu bringen. Die Kundschaft wisse es zu schätzen, wenn sie ihre eigene Lebenserfahrung im Gegenüber gespiegelt sähen. "Das vermittelt ein Gefühl von: Du sagst nicht nur, dass du mich verstehst. Du verstehst mich."

Brigitte

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