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Arm im Alter? Wie ihr aus der Falle rauskommt

Arm im Alter? Wie ihr aus der Falle rauskommt
© RossHelen / Shutterstock
Zeit für einen Kassensturz: Wie viel Geld habe ich monatlich zur Verfügung, und wie viel wird es sein, wenn ich in Rente bin? Altersarmut lässt sich verhindern: Wenn wir jetzt anfangen, anders mit Geld umzugehen.

Vor ein paar Monaten schrieb uns Birgit M. (69) aus Schleswig-Holstein: "Erst habe ich mich aus der BRIGITTE selbst bestrickt, benäht und bekocht, dann die Kinder und den Ehemann, und sehe jetzt, was geblieben ist: eine Rentnerin mit 888 Euro Rente, geschieden, alleinstehend, die als Fachkraft fast 30 Jahre ganztags gearbeitet hat (ich bin 15 Jahre wegen der Kinder zu Hause geblieben). Ich verdiene noch etwas dazu, weil ich muss, verdränge meine vielen Wünsche und versuche, ein zufriedenes Leben zu führen. Ich denke, dass es viele Frauen in dieser Situation gibt, die gebildet, interessiert und aufmerksam sind, aber durch ihre finanzielle Situation total ausgebremst werden."

Altersarmut ist kein Naturgesetz

Ja, es gibt viele Frauen, die "ausgebremst" sind. Ein mildes Wort. Das harte Wort heißt Altersarmut. Und die, sagt BRIGITTE-Finanzexpertin Helma Sick, "ist kein Naturgesetz, sondern entsteht durch ein jahrzehntelanges Zusammenwirken von diskriminierenden Faktoren."

Natürlich ist die Diskriminierung nicht mehr so extrem wie früher: Bis 1922 hatten Frauen in Deutschland nach dem Reichsbörsengesetz keinen Zutritt zur Börse - selbst wenn ihnen eine Firma gehörte. Bis 1958 stand im Bürgerlichen Gesetzbuch der Paragraf 1363: "Das Vermögen der Frau wird durch die Eheschließung der Verwaltung und Nutznießung des Mannes unterworfen." Heute können Frauen ganz selbstverständlich arbeiten, eigenes Geld verdienen, erben, Immobilien kaufen, ein Depot eröffnen.

Umso frustrierender sind die Zahlen, die das Weltwirtschaftsforum (WEF) im November veröffentlicht hat: In Deutschland haben Frauen erst zu 72 Prozent die gleichen wirtschaftlichen Möglichkeiten wie Männer. Damit liegen wir auf Platz 43 von 144 Ländern. "Global Gender Gap Report" heißt der Bericht, und wenn man versucht, die Gründe für diesen "Gap", die Lücke zwischen den Geschlechtern, aufzudröseln, stolpert man geradezu von einem Loch ins nächste:

Da ist der Wealth Gap, der Vermögensunterschied. 2014 besaß ein Mann in Deutschland durchschnittlich 97 000 Euro, eine Frau rund 60 000.

Der Gender Pay Gap, oft zitiert, immer noch unglaublich. 2016 verdiente eine Frau pro Stunde durchschnittlich 16,26 Euro brutto, ein Mann 20,71. Macht 21 Prozent Unterschied.

Der Gender Time Gap, altbekannt: Frauen bekommen Kinder, machen berufliche Pausen, reduzieren ihre Arbeitszeit. 39 Prozent der Mütter arbeiten Teilzeit, im Durchschnitt 20 Wochenstunden.

So viele Lücken. Alle zusammen ergeben sie die dramatische Kluft im Alter: den Gender Pension Gap. In den alten Bundesländern ist die Rente eines Mannes fast doppelt so hoch wie die einer Frau. In den neuen Bundesländern ist der Unterschied längst nicht so dramatisch, dort waren Frauen fast immer durchgehend berufstätig und haben entsprechend mehr Versicherungsjahre angesammelt.

Die große Lücke: So hoch ist die Rente

Frauen (alte Bundesländer):
618 Euro / gesammelte Versicherungsjahre: 27,6
Männer (alte Bundesländer):
1131 Euro / gesammelte Versicherungsjahre: 40,5
Frauen (neue Bundesländer):
882 Euro / gesammelte Versicherungsjahre: 41
Männer (neue Bundesländer):
1116 Euro / gesammelte Versicherungsjahre: 44,5 

Durchschnittliche Rentenzahlung pro Monat; Quelle: Rentenversicherungsbericht 2017

Was also können wir tun, um die Lücken zu füllen? Umdenken - beim Thema Arbeit und beim Thema Geld.

Wir müssen unser Gehirn einschalten

Marie-Christine Dabauvalle ist Französin, seit 1980 in Deutschland und Professorin für Zell- und Entwicklungsbiologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Von den rund 29 000 Studenten sind mehr als die Hälfte weiblich.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die Professor Dabauvalle ihren Studentinnen mitgeben will, hat nichts mit ihrem Fach zu tun. Sie ist nämlich seit 2006 auch Frauenbeauftragte der Uni. "Ich habe meine zwei Kinder hier in Deutschland bekommen, und ich wäre nie auf die Idee gekommen, mit dem Arbeiten aufzuhören", sagt sie. "Meine Kinder wurden betreut, so wie ich übrigens auch in meiner Kindheit in Frankreich. Weder sie noch ich haben davon einen Schaden bekommen. Diese Angst, eine Rabenmutter zu sein, ist absurd." Immer wieder sitzen junge Frauen vor ihr und fragen sie unsicher, ob und wie ihr Studium, ihre wissenschaftliche Karriere denn mit Kind möglich wäre. Und Frau Dabauvalle sagt dann: "Es kommt auf Ihren Partner an."

Deshalb hat sie auch, quasi als Argumentationshilfe, im vergangenen Jahr Helma Sick zu einem Vortrag an der Uni eingeladen. Die BRIGITTE-Kolumnistin hat einen gefüllten Terminkalender wie nie zuvor, seit sie zusammen mit der ehemaligen Familienministerin Renate Schmidt das Buch "Ein Mann ist keine Altersvorsorge" geschrieben hat. Sie spricht an Volkshochschulen und bei Frauenverbänden, sie saß bei "Frau TV" und auf dem roten Sofa bei "DAS!". Nach 30 Jahren Finanzberatung hat sie ein großes Repertoire an erschütternden Geschichten.

Frauen landen in der Altersarmut, weil sie an die ewige Liebe glauben

"Bei weiblicher Altersarmut", erzählt Helma Sick dann immer, "da denken viele nur an Alleinerziehende und Geringverdienerinnen. Aber es gibt eine immer größer werdende Gruppe, die mindestens genauso gefährdet ist: die gut ausgebildeten Akademikerinnen, die freiwillig aussteigen, sobald sie Kinder bekommen." Die nicht bald wieder in ihren Job zurückkehren. Oder lange in Teilzeit bleiben. Und mit ihrem Mann keine Regelung treffen, wie ihr Verdienstausfall und ihre Renteneinbußen ausgeglichen werden. "Naiv und leichtsinnig" nennt Helma Sick das: "Die Frauen landen in der Altersarmut, weil sie an die romantische ewige Liebe glauben und nicht rechtzeitig ihren Verstand einschalten!"

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam das Bundesfamilienministerium 2015 in einer Untersuchung: "Abhängigkeitsfördernd und existenzbedrohend" werde die Ehe für viele Frauen, vor allem, wenn der Mann berufsunfähig oder arbeitslos wird - oder wenn die Ehe scheitert.

Außerdem würden im Alter von 30 bis 49 Jahren Frauen mit Kindern das Thema Rente "offenbar mental zurückschieben", heißt es weiter. An einem Informationsdefizit könne es nicht liegen: Schließlich bekomme jeder jährlich Informationen über die zu erwartende Rente zugeschickt. Und ein paar Zeilen weiter steht in dem Bericht noch das unschöne Wort "Verdrängung".

Wir müssen das Sparen neu lernen

Es sind nicht nur Frauen mit Kindern und mit unterbrochenen Erwerbsbiografien, die im Alter oft ihren Lebensstandard nicht mehr halten können. Bei jüngeren Frauen wird die gesetzliche Rente später nicht mal mehr halb so hoch wie ihr letztes Nettoeinkommens sein: Ab 2030 gibt's nur noch 43 Prozent. Halbieren sich im Alter aber die Ausgaben, die Ansprüche, die Wünsche? Eben. Deshalb: Es muss mehr Geld in die Kasse.

Manchmal berät Helma Sick Frauen, die sagen: Ich würde ja gern regelmäßig sparen, aber es bleibt einfach nichts übrig! Dann fragt sie: "Kaufen Sie sich morgens einen Coffee to go? Gehen Sie manchmal zum Bäcker und holen sich ein belegtes Brötchen? Ja? Gibt es in Ihrer Firma keine Kaffeemaschine? Können Sie sich nicht zu Hause eine Stulle machen?"

Geld, das man nicht ausgibt, kann man anlegen

Viele kleine nicht getätigte Ausgaben summieren sich. Das Problem ist nur: Sobald Geld übrig ist, landet es immer noch allzu oft an der falschen Stelle. Nach einer Untersuchung der Comdirect haben 54 Prozent der Frauen Geld auf dem Girokonto, genauso viele auf Sparbüchern, 34 Prozent haben Tagesgeldkonten. Bloß kein Risiko!

Ja, das sind sehr sichere Orte. Nur leider wird das Geld dort nicht mehr, sondern, gemessen an der Kaufkraft, weniger: Maximal 1 Prozent Zinsen sind einfach weniger als 1,8 Prozent Inflation. Und trotzdem haben wir Deutschen ein unfassbar großes Vermögen, mehr als 2000 Milliarden Euro, so angelegt, dass es sich nicht vermehren kann.

Angenommen, du verzichtest auf den einen oder anderen Coffee to go oder Kneipenabend, und es bleiben tatsächlich monatlich 100 Euro übrig. Wenn du das nun in einen Fonds-Sparplan mit einer durchschnittlichen Rendite von 5 Prozent einzahlst - wie viel hast du dann nach zehn Jahren? Auf den Seiten von Onlinebanken oder ETF-Anbietern, etwa iShares, kannst du dir das sofort ausrechnen lassen: 15848,14 Euro. 12000 davon hast du eingezahlt, der Rest ist Ihre Rendite. Dafür kann man sich doch mal Stullen schmieren, oder?

Sparen bedeutet eben nicht nur Verzicht - es ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu größerer Unabhängigkeit. Immer mehr Finanzbloggerinnen und -blogger leben und rechnen das im Internet vor. Manchen geht es vor allem ums Reichwerden, für andere ist Sparsamkeit eine Variante von Achtsamkeit und bewusstem Lebensstil; und manche von den jüngeren haben das Ziel, mit 40 Jahren nicht mehr arbeiten zu müssen, sondern von den passiven Einkünften (Zinsen, Dividenden, Mieteinnahmen) leben zu können. "Hastalavista Hamsterrad" heißt ein Beitrag in einem der Blogs.

Wir müssen uns schlau machen

Eine weitere Lücke existiert noch, und auch sie sollte schnell geschlossen werden: die Bildungslücke. Die Union Investment befragte im vergangenen Jahr Experten (Verbraucherorganisationen, Politiker, Lehrer, Journalisten und Finanzberater) nach ihrer Einschätzung, wie gut informiert die Deutschen in Sachen Finanzen sind. Nur fünf Prozent sagten: gut oder eher gut. Aber 19 Prozent hielten die Deutschen für mangelhaft oder ungenügend informiert.

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BRIGITTE 02 / 2018

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