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Rebecca Miller: "Identität ist flüssig"

Ihr Leben klingt, als würde es von mehr als nur einer Frau gelebt: Rebeccas Vater war der Schriftsteller Arthur Miller, ihr Mann ist Hollywood-Star Daniel Day-Lewis. Sie ist Schauspielerin. Und Malerin. Und verfilmt jetzt als Regisseurin ihren ersten Roman. Ach ja, ihre Mutter ist auch berühmt. Uff. Können wir das mal ganz in Ruhe besprechen?

Es regnet in Connecticut, junge Hunde seit Tagen. Die Stimmung sei nicht die beste am Filmset von "Pippa Lee", heißt es in New Milford, nichts als Schwierigkeiten und Verzögerungen. Keanu Reeves spielt mit in diesem Film, Winona Ryder auch, Robin Wright-Penn, Alan Arkin, Julianne Moore und Monica Bellucci. Es ist ein ungewöhnliches Projekt - hier wird ein Buch verfilmt, bevor es überhaupt erschienen ist. Mehr noch: Die Autorin führt auch noch selbst Regie. Sie tut es, weil sie eine Frau mit vielen Talenten ist. Und weil es vielleicht ihre Geschichte ist. Darüber wird Rebecca Miller im Gespräch allerdings nicht viel sagen, man ahnt es bloß.

Wir treffen sie am Drehort, im Hotel "Heritage Inn", dem Epizentrum der Dreharbeiten. Gut eineinhalb Autostunden von New York entfernt, unweit ihres Elternhauses. Nebenan in Roxbury hat Rebecca Miller, 45 Jahre alt, Malerin, Schauspielerin, Regisseurin, Autorin und verheiratet mit Daniel Day-Lewis, einem der besten Schauspieler der Welt, ihre ganze Jugend verbracht. In einem Garten mit 6000 Bäumen, die ihre Eltern - der legendäre Schriftsteller Arthur Miller, die legendäre Fotografin Inge Morath - für sie nach ihrer Geburt gepflanzt haben.

Rebecca Millers mahagonifarbene Locken sind hochgesteckt. Sie trägt braune Schnürstiefel, Lederjacke, eine Brille (wie die von Woody Allen), dahinter liegen wache hellblaue Augen. Sie hat eine enge dunkle Jeans an, die ihre langen Beine betont. Vorher hieß es, sie habe es nicht so gern, wenn man mit ihr über ihren Vater sprechen möchte. Und auch nicht über ihren Ehemann Daniel Day-Lewis. Aber wie soll das gehen?

Interview mit Rebecca Miller

BRIGITTE: Ms. Miller, bringen wir's lieber gleich hinter uns...

Rebecca Miller: Was?

BRIGITTE: Den unangenehmen Teil. Können wir über Männer reden? Über zwei Männer?

Rebecca Miller schlägt die Beine übereinander. Und sagt nichts.

BRIGITTE: Okay, anders: Wie ärgerlich ist es für eine Künstlerin, dass man keinen einzigen Artikel über sie liest, der ohne die Erwähnung ihres Vaters und Ehemannes auskommt? Inklusive diesem hier.

Rebecca Miller: Man gewöhnt sich daran. Was für jemand Außenstehenden außergewöhnlich erscheint, ist für andere Normalität.

BRIGITTE: Muss man als Tochter eines großen Künstlers mehr leisten, um zu überzeugen?

Rebecca Miller: Kreativ sein ließ sich in meiner Kindheit mit einer Katze vergleichen, die eine tote Maus mit nach Hause bringt, sie auf die Fußmatte der Eltern legt und erwartungsvoll sagt: "Guck mal, das hab ich gemacht."

BRIGITTE: Haben Sie deshalb so lange mit Ihrem ersten Roman gewartet?

Rebecca Miller: Vielleicht hat mich mein Vater davon abgehalten, kann sein. Wobei, "davor bewahrt" trifft es vielleicht besser.

BRIGITTE: Warum bewahrt? Weil Sie Angst hatten, mit ihm verglichen zu werden?

Rebecca Miller: Unbewusst, schon möglich. Es kam mir lange Zeit einfach nicht in den Sinn, meine Texte zu veröffentlichen. Ich wollte es nicht. Und das war auch gut so. Schriftsteller profitieren von ihrer Lebenserfahrung. Das ist der Topf, aus dem sie schöpfen.

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BRIGITTE: Womit wir natürlich bei der Frage wären, was Sie mit Ihrer Heldin Pippa Lee gemeinsam haben: Die wilde Jugend in New York? Die Drogen, die Affäre mit dem Lehrer, die lesbische Tante, vielleicht die Sado- Maso-Clubs? Oder ähneln Sie eher der älteren Pippa, der biederen Hausfrau?

Rebecca Miller: Na, so leicht bin ich in meinem Buch nun auch nicht zu finden. Fiktion zu schreiben ist eine andere Art, Versteck zu spielen. Und das tue ich auch jetzt.

BRIGITTE: Hm. Schade. Vom Einfluss Ihres Vaters haben wir schon gesprochen - wie groß war der Ihrer nicht viel weniger berühmten Mutter Inge Morath?

Rebecca Miller: Von ihr habe ich eine Menge über die Bedeutung von Bildern gelernt. Sie hat mir auch die Scheu vor der Kamera genommen. Auf jeden Fall haben mich beide Eltern in Richtung Kunst gepusht.

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BRIGITTE: Sie haben an der Universität Yale Malerei studiert und waren 1984 als Stipendiatin ein paar Monate in Deutschland.

Rebecca Miller: Ja. Am Starnberger See, in Feldafing. War ziemlich langweilig, und die Menschen sprachen Hardcore-German.

BRIGITTE: Aber nur, weil Bayern so eine Art deutsches Texas ist...

Rebecca Miller: Ha! Jedenfalls bin ich damals immer mit dem Zug nach München in ein Programmkino gefahren. Eines Tages habe ich mir "La Dolce Vita" von Fellini angesehen und dabei eine Art Offenbarung gehabt - ich wollte fortan Filme machen.

BRIGITTE: Warum?

Rebecca Miller: Das Filmemachen erlaubt es mir, all meine desperaten, umherirrenden Talente zu kombinieren: Malen, Schreiben, Schauspielern. Und ja, bevor Sie fragen: wahrscheinlich, um mich von meinem Vater zu emanzipieren und meinen eigenen Weg zu machen.

BRIGITTE: Ist es Zufall oder kommt es aus der Abteilung Ödipus, dass Pippa im Buch einen viel älteren Mann hat?

Rebecca Miller: Wie meinen Sie das?

BRIGITTE: Na ja, findet sich darin die Konstellation zwischen Ihnen und Ihrem viel älteren Vater wieder, der immerhin schon 50 Jahre alt war, als Sie zur Welt kamen?

Rebecca Miller: Nein, kein Ödipuskomplex. Zufall. Ich kenne einfach nur viele Freundinnen mit viel älteren Männern. Tatsächlich habe ich keine Ahnung, warum die Konstellation im Buch ist, wie sie ist. Es wäre gelogen, wenn ich Ihnen sagen würde, ich wüsste, warum ich das Buch überhaupt geschrieben habe.

BRIGITTE: Ihr Buch handelt von der Suche nach Identität, dem Wandel der Persönlichkeit nach der Hochzeit und der Geburt von Kindern. Wie veränderlich ist Identität?

Rebecca Miller: Identität ist flüssig, sie reagiert auf das, was einem widerfährt. Ich habe so viele Frauen beobachtet, die plötzlich nicht mehr die Protagonistin ihres eigenen Lebens waren. Es gibt genügend Menschen, die sich nach einer gewissen Zeit auf diesem Planeten umsehen und sich mit einem Mal fragen: Was mache ich hier? Wie bin ich hier hergekommen, und wieso ist ausgerechnet der oder die mein Partner?

BRIGITTE: Sie meinen also, dass manche Frauen...

Rebecca Miller: ...während einer Ehe vergessen, wer sie wirklich sind. Ihre Persönlichkeit wandelt sich komplett. Ich meine das nicht unbedingt kritisch. Es kann auch einen schönen Aspekt haben, sich in einer Ehe zu verändern oder neu zu definieren.

BRIGITTE: Und bei Pippa?

Rebecca Miller: Schön bei Pippa ist, dass sie daran interessiert ist, das Leben der anderen ein bisschen besser zu machen. Ihr Leben ist ihre Kunst. Sie hat Empathie, was ich persönlich als die höchste menschliche Qualität ansehe. Alle großen Künstler müssen Empathie haben.

BRIGITTE: Und große Egos.

Rebecca Miller: Zumindest so groß, dass man selbst glauben kann, dass es irgendjemanden interessiert, was man zu sagen hat. Keine Geschichte ist so wichtig, dass die Welt darauf wartet.

BRIGITTE: Ihr Vater hat einmal geschrieben, die meisten Ehen seien Verschwörungen, das Dunkle zu verleugnen und das Licht zu bestätigen.

Rebecca Miller: Ich würde eher sagen, man verbündet sich gegen das Chaos dieser Welt. Indem man sich für einen Partner entscheidet, gibt man seinem Leben eine bestimmte Struktur.

BRIGITTE: Und wie ist das mit Daniel Day-Lewis? Sie haben sich für einen komplizierten Künstler und somit nicht gerade für eine einfache Struktur entschieden.

Rebecca Miller: Stimmt. Das war aber meine freie Wahl. Ich wäre nie in der Lage, mit jemandem zusammenzuleben, der nicht sehr komplex ist.

BRIGITTE: Was macht Ihre Beziehung besonders?

Rebecca Miller: Daniel und ich haben eine große Komplizenschaft. Wir beide versuchen, miteinander sehr ehrlich zu sein. Und das ist schwer genug in unserer Welt.

BRIGITTE: Sie haben einmal gesagt: Die Tochter eines berühmten Mannes zu sein, hätte Ihnen später die Angst genommen, einen berühmten Schauspieler zu heiraten.

Rebecca Miller: Daniel war etabliert, als wir uns kennen lernten. Und das war eine Erleichterung für mich. Ich bin immer stark gewesen, zu stark für die Männer, mit denen ich vorher zusammen war. Ich hatte Hunger, künstlerischen Hunger. Und Daniel hatte von Anfang an diese Sicherheit, er musste nichts beweisen.

BRIGITTE: Und Sie?

Rebecca Miller: Auch nicht. Es war sofort eine Balance da, obwohl ich viel weniger Erfolg hatte als er. Es war von Anfang an keine gegenseitige Bedrohung.

BRIGITTE: Ein Zitat Ihrer Heldin Pippa Lee lautet: Ehe ist ein Akt des Willens.

Rebecca Miller: Diesen Satz hat einmal eine Freundin von mir gesagt, als sie verzweifelt war.

BRIGITTE: Und was sagen Sie?

Rebecca Miller: Come on. Alle Ehen machen Phasen größter Frustration durch, in denen sie mehr oder weniger ein Akt des Willens sind. Nur in ihren besten Zeiten sind sie ein Akt der Liebe.

Rebecca Millers Welt

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Der Ehemann: Schauspieler Daniel Day- Lewis, geboren 1957 in London, bekam 1989 für "Mein linker Fuß" seinen ersten Oscar, in diesem Jahr für "There Will Be Blood" seinen zweiten. Seit 1996 ist Day-Lewis mit Rebecca Miller verheiratet, das Paar hat zwei Kinder und lebt überwiegend auf dem Land in Irland, in Annamoe im Südosten der Insel.

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Die Mutter: Inge Morath wurde 1923 in Graz geboren. Als sie 1949 nach Paris zog, entdeckte sie ihre Liebe für die Fotografie. In den 50ern arbeitete Inge Morath für die legendäre Foto-Agentur Magnum und wurde berühmt für ihre Reportagen und als Fotografin für Standbilder beim Film. 1960 sollte sie bei den Dreharbeiten zu "Misfits - Nicht gesellschaftsfähig" Clark Gable und Marilyn Monroe fotografieren. Sie verliebte sich in den Drehbuchautor: Arthur Miller. Inge Morath starb 2002 in New York.

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Der Vater: Arthur Miller, geboren 1915 in New York, war einer der wichtigsten amerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Für "Tod eines Handlungsreisenden" bekam er 1949 den Pulitzer-Preis, die Werke "Hexenjagd" oder "Blick von der Brücke" festigten seinen Ruf als moralische Instanz. Aufsehen erregte er auch durch seine fünfjährige Ehe mit Marilyn Monroe. Der Dramatiker hat noch einen Sohn aus der Ehe mit Inge Morath sowie zwei Kinder aus einer früheren Ehe. Arthur Miller starb 2005 in Roxbury.

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Das Buch: Die 50-jährige Pippa Lee ist die ideale Künstlergattin - ergeben und fast frei von eigenen Ambitionen. Sie ist verheiratet mit dem 30 Jahre älteren Herb Lee, einem mächtigen Verleger, den sie als flippiges Mädchen auf einer Party kennen gelernt hat. Damals war sie auf Drogen, ein wildes Ding, das sich durch New York vögelte. Nach der Hochzeit mutiert sie zur brav-biederen Ehefrau. Schließlich fängt sie an zu schlafwandeln, raucht nachts, frisst und verliebt sich in einen Jüngeren, während ihr Mann ein Verhältnis mit ihrer besten Freundin hat. Eine ganz normale amerikanische Ehe à la John Updike beschreibt Rebecca Miller da. Fesselnd - und ernüchternd. (Ü: Reinhild Böhnke, 368 S., 19,90 Euro, S. Fischer)

Text: Jan Jepsen Fotos: Jürgen Frank ein Artikel aus der BRIGITTE 16/08

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