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Schwierige Mütter: Wie sie unser ganzes Leben prägen

Schwierige Mütter: Wie sie unser ganzes Leben prägen
© Shutterstock/Elzbieta Sekowska
Niemand prägt uns so wie unsere Mutter. Und es ist leicht zu sagen, sie sei an allem schuld. Ist sie nicht. Aber wenn das Verhältnis zu ihr kompliziert ist, bestimmt das unser ganzes Leben.

Bevor du anfängst zu lesen, mache mal kurz die Augen zu und stelle dir vor, du wärst gerade auf der Suche nach einer Mitstreiterin. Um eine Weltreise zu organisieren oder ein Buch zu schreiben. Wen würdest du fragen: Deine beste Freundin, deine Kollegin? Oder, jetzt bitte Luft holen: deine Mutter? Könntest du mit ihr gut reisen und arbeiten – oder hättest du Angst, dass dabei die Gespenster deiner Kindheit aus den Löchern kriechen?

Expertinnen für Mutter-Tochter-Beziehungen: Maren Geiser-Heinrichs und Waltraud Barnowski-Geiser.
Expertinnen für Mutter-Tochter-Beziehungen: Maren Geiser-Heinrichs und Waltraud Barnowski-Geiser.
© Joy Beck

Maren Geiser-Heinrichs und Waltraud Barnowski-Geiser, 59, sind ein Mutter-Tochter-Gespann, das zusammen arbeitet und sich nicht aneinander "abarbeiten muss", wie beide sagen. Gerade haben sie einen Ratgeber über schwierige Mutter-Tochter-Beziheungen veröffentlicht: "Meine schwierige Mutter" (175 S., 17 Euro, Klett Cotta.)

Tochter Maren erzählt: "Das Interesse an dem Thema verbindet uns, unsere unterschiedlichen Sichtweisen erleben wir als bereichernd." Als Psychotherapeutinnen unterschiedlicher Fachrichtungen sehen die beiden täglich das Gegenteil: das geballte Elend anderer Mutter-Tochter-Verbindungen.

Friede, Freude, Eierkuchen? Von wegen!

Dabei war das Verhältnis erwachsener Töchter zu ihren Müttern nie besser, so legen es aktuelle Erhebungen wie die "Pairfam"-Studie der TU Chemnitz nahe: 80 Prozent der jungen Erwachsenen haben mindestens einmal pro Woche Kontakt zu ihrer Mutter, zwei Drittel beschreiben ihr Verhältnis als eng, jede zweite Frau bespricht persönliche Dinge regelmäßig mit ihr.

Aber nicht selten finden unter der nach außen getragenen Friede-Freude-Stimmung tiefer liegende Kämpfe statt, die Mütter und Töchter oft selbst nicht bewusst wahrnehmen. Zum Beispiel in Form von gut gemeinten Grenzüberschreitungen - etwa, wenn die Mutter in der Urlaubszeit ihrer Tochter ungefragt den Kühlschrank ausmistet, oder auch auf die passiv-aggressive Tour: "Ach, ihr müsst mich nicht besuchen, ich bin es ja gewohnt, allein zu sein."

Allerdings: "Die Frage, was eigentlich eine schwierige Mutter ausmacht, stellt sich in jeder Generation aufs Neue", sagt Barnowski-Geiser.

Hart und kühl - die Mütter der Kriegsgeneration

Frauen in ihrer eigenen Altersgruppe arbeiteten sich vor allem an den Müttern der Kriegsgeneration ab und bemühen sich um Abgrenzung: "Viele von unseren Müttern haben als Kind Traumata erlitten und den Kontakt zu ihren Gefühlen verloren." Häufige Folge: Härte und kühle Strebsamkeit. Auch die gängige Frauenrolle der Älteren forderte zur Rebellion heraus: "Abhängig, ohne eigenes Geld, ohne Job - so wollten wir nie werden!"

Abgrenzung ist gesund

Dagegen fühlen sich die heute 30-Jährigen eher, als würden sie gegen eine Schaumstoffwand rennen: "Wenn die eigenen Mütter dieselben Klamotten tragen wie man selbst und in dieselbe Bar gehen, wie soll man sich da noch abgrenzen?", fragt Maren Geiser-Heinrichs. Eine gesunde Abgrenzung sei aber vonnöten, wenn man ein erwachsenes Leben führen will. Denn wer sich nicht abnabelt, bleibt dauerhaft auf die Mutter bezogen - egal, ob er ihr Leben kopiert oder extrem darauf bedacht ist, alles anders zu machen.

Unsere Erfahrungen als Kind geben wir selbst weiter

Was einmal mehr zeigt: Unsere Kindheitserfahrungen prägen uns fürs Leben und werden von Generation zu Generation weitergegeben. Auch wenn wir längst erwachsen sind, handeln wir unbewusst nach den Erwartungshaltungen, denen wir als Kinder ausgesetzt waren. "Das können sehr harte innere Stimmen sein wie: Nur wenn du Leistung bringst, bist du liebenswert. Oder: Hauptsache, die störst mich nicht", so Barnowski-Geiser.

Andere Kindheitsmuster klingen weniger negativ, können auf subtile Weise aber ähnlich zerstörerisch wirken. Etwa, wenn die Botschaft heißt: Mach mich glücklich.

Kinder werden selbst in die Mutterrolle gedrängt

Barnowski-Geiser: "Wenn Frauen Mütter werden, die selbst viele unerfüllte kindliche Bedürfnisse mit sich herumtragen, wird ein Kind leicht in die Mutterrolle gedrängt." Es sorgt sich, strampelt sich schon früh ab, versichert Mami ständig, dass sie die Beste ist. Besonders anfällig für dieses Muster sind Mutter-Tochter-Duos ohne weitere Geschwister, oder wenn die Mutter alleinerziehend ist.

Die Falle kann aber auch in einer größeren Familie zuschnappen. Barnowski-Geiser: "Häufig sitzen mir dann erwachsene Frauen in der Therapie gegenüber, die sagen: Meine Mutter glaubt, dass wir uns ganz nah sind, und ich kriege schon seit Jahren keine Luft mehr."

Ist Mutti wirklich an allem schuld?

Klares Jein. Zwar erben wir in der Tat so einiges von unseren Müttern. Nicht nur trockenen Humor oder legendäre Rezepte, sondern laut einer aktuellen Studie der University of California auch bestimmte Hirnstrukturen, die unser Gefühlsleben beeinflussen und uns zum Beispiel anfällig für Depressionen machen. Aber erstens tun unsere Mütter das nicht mit Absicht, und zweitens erklärt die Forschung die Mutter nicht mehr zur Hauptverdächtigen in allen Lebenslagen. "Man weiß heute, dass ein Kind sicher an mehrere Personen gebunden sein kann, und dass zum Beispiel ein Vater kompensieren kann, wenn es der Mutter an Feinfühligkeit fehlt - selbst, wenn er deutlich weniger Zeit mit seinem Kind verbringt", erklärt Maren Geiser-Heinrichs.

Das gilt sogar für die Büroväter-Generation, die heute in Rente geht. Da wäre es ungerecht, eigene Probleme pauschal der eigenen Mutter in die Schuhe zu schieben. Die ist schließlich auch nur ein Mensch.

Ein eigenes Kind als Chance zur Versöhnung?

Eine Erkenntnis, die Frauen häufig mit voller Wucht trifft, wenn sie selbst ein Kind bekommen. Und merken, wie schwer es ist, dem eigenen Ideal gerecht zu werden. Eine Chance, sich wieder näher zu kommen - weil man im Rückblick einiges besser nachvollziehen kann?

Kann gelingen, muss aber nicht, sagt Waltraud Barnowski-Geiser. "Entweder das Verständnis wächst, und vielleicht ist es auch für beide eine gute Erfahrung, wenn die eigene Mutter im Alltag wieder mehr gebraucht wird. Oder im Gegenteil, es werden alte Verletzungen wieder sichtbar, die erneut die Beziehung belasten. Etwa: "Warum geht meine Mutter so liebevoll mit meinem Kind um, so war sie früher bei mir nie?'" Vielleicht, weil sie etwas gutmachen möchte?

Warum wir das Thema nicht verdrängen können

Aber auch das gehört zu den traurigen Wahrheiten: Eine schmerzhafte Kindheitsgeschichte prägt uns zu sehr, als dass sie sich einfach überschreiben ließe. Wir können vielleicht das Verhältnis verbessern und auf eine neue Ebene heben - aber nachholen, was uns damals gefehlt hat, das bleibt ein unerfüllbarer Wunsch. Aber wir können versuchen zu verstehen. Und zu verarbeiten.

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Text: Verena Carl. Ein Artikel aus der BRIGITTE 10/17<br />

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