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Leben ohne Müll "Ich verbrauche nicht mal mehr Klopapier"

Leben ohne Müll: "Ich verbrauche nicht mal mehr Klopapier"
© Olga Kroll
Zahnpasta macht sie selbst, Käse kauft sie mit der Tupperdose, Haferflocken kommen aus der Quetsche: Olga Kroll und ihre Familie führen ein Leben ohne Müll. In der Leserkolumne "Stimmen" erzählt die 31-Jährige, wie ihr "Zero Waste"-Alltag aussieht - und warum sie nicht einmal mehr Klopapier (ver-)braucht.

Es ist 6.45 Uhr und der Wecker klingelt. Ich tapse ins Badezimmer und gehe erst einmal aufs Klo. Danach spüle ich mich mit unserer "Popo-Brause" sauber und trockne mich mit einem der daneben aufgehängten, persönlichen Waschlappen ab. Noch im Halbschlaf trotte ich weiter zum Waschbecken. Ich befülle meinen Zahnbecher mit Wasser, tunke die Naturfaserborsten meiner Holzzahnbürste erst ins Wasser, dann ins Zahnpulver und schließlich in meinen Mund. Der minzigsüßliche Geschmack dieser neuen Eigenkreation erfrischt mich und meine Zähne fühlen sich wieder blitzeblank an.

Gregor hat in der Zwischenzeit schon die drei Kinder aus den Betten geschmissen und wir treffen uns in der Küche wieder. Er füllt gerade die Kaffeemühle mit Bohnen aus dem Stoffsäckchen, mit dem wir immer in der Kaffeerösterei aufschlagen. Ich quetsche mit der Flockenquetsche frische Frühstücksflocken. Der Hafer aus dem großen Ruhrglas leert sich langsam. Im Abstellraum greife ich nach einem der 25-Kilogramm-Getreidesäcke, die dort lagern, fülle das Glas wieder auf und quetsche weiter. Dazu gibt es geschnittene Äpfel, eine Prise Zimt und kochendes Wasser, das den Hafer richtig schön quellen lässt. Nach Wunsch erweitert jeder seine Mischung noch mit Nüssen, Trockenfrüchten und Schokolinsen. Für die Kinder darf es auch gern noch etwas Milch oder Joghurt aus der Pfandflasche sein, manchmal in die Müslischale, manchmal auch daneben.

Der Verzicht tat weh

Nach dem Müsli werden die Schulbrote geschmiert. Ich bestreiche die Scheiben mit, wie die Kinder sagen würden, köstlicher Butter aus dem Drahtbügelglas. Dieser Moment versetzt mich noch regelmäßig in Entzücken, da es bei uns lang keine Butter gab. Während alle anderen Milchprodukte in Pfandgläsern oder -flaschen erhältlich sind, liegt die Butter immer noch in Alupapier in der Kühltheke. Der Verzicht tat weh, Wegschmeiß-Aluminium zu kaufen aber noch mehr.

Eines Nachmittags, mit den Kindern im Kino, verriet mir die beste Freundin unserer Zwillinge das Geheimnis des Buttermachens und dass es dabei eigentlich kein Geheimnis gibt. Wieder zu Hause holte ich sogleich die Flasche mit der Sahne aus dem Kühlschrank und fing an zu schlagen. Sieben Minuten später hatte ich selbstgemachte Butter. Seitdem gibt es keine hängenden Gesichter mehr, wenn es um die Wahl des Brotbelags geht. Mit Butter schmeckt die selbstgemachte Marmelade aus der letzten Erntesaison erst richtig gut.

Sind alle Kinder aus dem Haus, schwingen wir uns selbst unter die Dusche. Die Ablage mit den Körperpflegeprodukten zieren seit kurzem die Aufschriften "Haarseife" und "Körperseife", damit auch die Kinder nichts verwechseln. Im nassen Haar reibe ich die Haarseife über die Kopfhaut, bis ein stabiler Schaum entsteht und verteile ihn genauso wie einst das Schampoo aus der Plastikflasche. Mit der Körperseife seife ich die haarigen Stellen ein. Ich greife zum schweren Rasierhobel und mache kurzen Prozess. Seit einem Monat ist die Rasierklinge nun schon drin - vielleicht sollte ich sie bald mal auswechseln. Nach dem Duschen trockne ich die Armaturen ab, denn lästige Kalkflecken wegzuschrubben macht mir nicht viel Spaß. Für die trockene Winterhaut kommt ein bisschen Cocosöl zum Einsatz und schon ist wieder alles geschmeidig.

Plötzlich fällt mir ein: War da nicht noch der frischgemahlene Kaffee in der Kaffeemühle?! In der Küche sehe ich, dass die kleine Espressomaschine schon auf der Herdplatte steht. Gregor sitzt im Arbeitszimmer und ist fleißig und auch ich fahre meinen Rechner hoch. Es wird Zeit für einen neuen Blogartikel. Wie wäre es mit dem Rezept für die selbstgemachte Butter? Der Artikel ist fertig, aber wir brauchen dringend neue Sahne für die Butter - und die Fotos auf meinem Blog.

Ich bepacke den Rucksack mit einem leeren Eierkarton, einer Handvoll Stoffsäckchen und einer großen, wiederverschließbaren Dose und schwinge mich aufs Fahrrad. In unserem Lieblingsbioladen angekommen fülle ich Obst und Gemüse in die Stoffsäckchen oder lege sie lose in den Korb. An der Käsetheke lasse ich mir ein Stück Gouda in die Tupperdose geben. In der Kühltheke greife ich zu Milch und Sahne in der Pfandflasche und den Eierkarton befülle ich mit losen Eiern.

Es gibt weiterhin Klopapier für Gäste

Wieder zu Hause kommen auch bald die Kinder aus der Schule und die Wohnung füllt sich mit Leben. Nachbarskinder gehen ein und aus, Türen werden aufgerissen und zugeknallt, Kinder mal hier, mal dort. Ich lege die Konzentrationsarbeit beiseite und beobachte, wie vier Halbwüchsige im Badezimmer verschwinden und erst nach geraumer Zeit kichernd wieder herauskommen. Das sieht ganz nach einer neuen Erfahrung mit der Popo-Brause aus. Wir haben sie noch nicht sehr lang und sie sorgt immer wieder für Aufregung. Es gibt zwar weiterhin Klopapier für Gäste und die Kinder, denen wir die freie Wahl lassen wollen. Aber die Anziehungskraft der ungewohnten Brause ist für die Kleinen doch zu groß.

Zum Abendessen gibt es Gemüsepfanne aus lose eingekauftem Gemüse, Reis aus dem 25-Kilogramm-Vorteils-Papiersack und angebratenem Tofu aus eigener Herstellung. Dann kehrt langsam wieder Ruhe ein, die Kinder gehen ins Bett und irgendwann, wie immer viel zu spät, auch wir.

Vor dem Schlafengehen putze ich mir noch einmal die Zähne mit dem Zahnpulver und etwas Zahnseide. Ich gehe in die Küche und öffne heute zum ersten Mal die Schranktür unter der Spüle, wo unsere Mülleimer stehen. Ich werfe die benutzte Zahnseide in die zum Müllsack umfunktionierte Klopapierverpackung und lächele innerlich, weil ich seit Wochen nicht den Müll runtergebracht habe.

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